0374 - Der Inka-Henker
Es war die Stille des Todes, die den großen Talkessel beherrschte.
Hinzu kamen die sengenden Sonnenstrahlen, die erbarmungslos auf die braune Erde brannten und das Blut der toten Inka-Krieger verdampften.
Heere von schwarzen, dicken Fliegen umsummten die Leichen, deren Körper durch die schrecklichen Hiebe spanischer Waffen gezeichnet waren.
Die Inkas hatten zuerst Widerstand geleistet, es dann aber aufgegeben, weil sie einsahen, daß sie gegen die Schwerter, Macheten und Lanzen der plündernden und marodierenden Spanier nicht ankamen, denn diese Menschen kannten keine Gnade. Sie wollten das Gold und die Schätze, deshalb mordeten sie.
So drangen sie ein in das einsam gelegene Hochtal und machten auch die Menschen nieder, die sich ihnen waffenlos in den Weg stellten.
Jetzt lebte niemand mehr.
Nur ein schwerer süßlicher Blutgeruch durchwehte die Talebene, und manchem Konquistador wurde es übel. Die Soldaten steckten in Rüstungen, die panzerartiges Format hatten und die Oberkörper umspannten. Helme schützten die Köpfe der Spanier, Schweiß rann über die verzerrten Gesichter, und die Klingen der Waffen waren blutverklebt.
Anführer dieser plündernden Horde war Juan Lazarro, ein grausamer Statthalter, den der König extra auf die Reise geschickt hatte, um auch das letzte, gut versteckte Inka-Gold zu holen.
Jetzt stand er dicht vor dem Ziel.
Er ließ seine Männer antreten.
Sie kamen nur langsam heran. Gezeichnet von der Anstrengung, dem Grauen und den schlimmen Taten, die hinter ihnen lagen. Die älteren Soldaten kümmerten sich nicht so sehr darum. Für sie war das »Erobern« zu einer schrecklichen Routine geworden, aber es waren auch jüngere darunter, denen das Erlebte noch im Gesicht zu lesen stand.
Verluste hatten die Spanier nicht erlitten. Ein Mann war durch einen Steinwurf im Gesicht getroffen worden. Er wurde getragen und stöhnte unter gräßlichen Schmerzen.
Juan Lazarro warf ihm nur mehr einen gleichgültigen Blick zu. Er nahm auf andere keine Rücksicht, und ebenso reagierte er auch bei seinen eigenen Leuten.
Wenn diese Aufgabe hier erledigt und sie wieder nach Spanien zurückgekehrt waren, sollte er in den Adelsstand erhoben werden, das hatte ihm der König versprochen. Aus diesem Grunde wollte er nicht mit leeren Händen das Heimatland erreichen. Das Schiff sollte bis zur Lastgrenze beladen werden. Gold, Schmuck und andere wertvolle Beutestücke sollten mitgenommen werden. Und sie mußten sich beeilen, denn vor den ersten Herbststürmen mußte der Atlantik überquert sein.
Die Rede war nur kurz. Jeder Soldat wußte im Prinzip, was er zu tun hatte. Lazarro wollte seine Leute nur noch einmal daran erinnert haben. Er schaute ein letztesmal in die Gesichter, sah sie starr werden und sagte mit lauter Stimme: »Für Spanien und den König.«
»Für Spanien und den König!« lautete die Antwort.
Dann gingen sie und stürmten den Tempel. Sie machten Lärm, sie schrien, denn auch sie standen noch unter dem Eindruck der schrecklichen Morde und mußten sich so Luft verschaffen.
Juan Lazarro ließ sie laufen. Er selbst beteiligte sich nicht an der Plünderung. Seine Zeit würde später kommen, wenn die Schätze geraubt waren. Dann wollte er noch einmal zurückkehren. So hatten seine Männer fast einen Tag Zeit, die Kammern des Tempels zu plündern und die wertvollen Beutestücke auf die Esel zu verladen.
Das alles war Sache der Soldaten.
Lazarro sollte etwas anderes holen. Schon immer war die Rede von einer Statue gewesen. Niemand hatte sie bisher gesehen, aber zurückkehrende Konquistadoren hatten davon berichtet. Eine Legende rankte sich darum. Diese Statue sollte alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt haben. So kostbar, so wertvoll war sie.
Der König wollte die Statue unbedingt haben, und er hatte Lazarro mit dieser Aufgabe betraut.
Woher sie stammte und wen sie darstellen sollte, wußte keiner.
Man sprach auch über magische Kräfte, die angeblich in ihr steckten. Ein Dämon sollte sie nach seinem Ebenbild erschaffen haben.
All das waren Spekulationen. Juan Lazarro würde es bald wissen.
Er hatte auf einem Stein Platz genommen, der im Schatten stand.
Dennoch schwitzte der Mann. Viel schlimmer erging es seinen Männern, die mit Schätzen überladen den stufenförmig und pyramidenartig gebauten Tempel der Inkas verließen.
Er schaute ihnen zu. Hin und wieder nahm er einen Schluck Wasser. Die Flüssigkeit gluckerte in einem Beutel aus Ziegenleder.
Und die Sonne brannte
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