0374 - Der Inka-Henker
schwer.«
Ernesto lehnte sich zurück. Er war gerade 22 Jahre alt. Ein schlanker dunkelhaariger Bursche, der das Leben bisher ziemlich leicht genommen hatte und sein Geld durch Gelegenheitsjobs verdiente. Zumeist führte er Touristen an historische Stätten. Von deren Geld schlug er sich mehr schlecht als recht durchs Leben.
Er war nicht unübel und gehörte auch nicht zu denen, die sich für besser hielten, weil sie mehr Geld besaßen und sich das Seelenheil durch manch kirchliche Spende erkaufen wollten, andererseits aber ein wenig christliches Leben führten. Der Pfarrer mochte den jungen Mann, er vertraute ihm und auch seinem Bericht. Natürlich klang es unwahrscheinlich, aber der Padre wußte, daß es manche Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die auch die Bibel nicht erklärte.
Und er hatte bereits die Konsequenzen gezogen. Allerdings im Einverständnis mit einem gewissen Kaime Lazarro, dem Polizeipräfekten einer großen spanischen Küstenstadt.
»Wir müssen etwas tun!« drängte Ernesto.
Padre Dorio lehnte sich zurück. Er strich über die glatte Haut der Wangen und zog die weißen Augenbrauen zusammen. »Und wann soll das geschehen, mein Lieber?«
»Jetzt.«
»Weshalb?«
»Weil er in dieser Nacht noch auferstehen will. Das hat er mir gesagt. Er kehrt aus dem Grab zurück. Er will ihn suchen, denn er hat seinen Ruf vernommen.«
»Den des Henkers also?«
»Genau. Sie verstehen.« Hoffnung glänzte in den Augen des jungen Mannes. »Werden Sie mir helfen, Padre?«
Pater Dorio holte tief Luft. Er drehte sich um und schaute zum Fenster des kleinen Pfarrhauses hin. Draußen war es dunkel geworden, aber kein Blitzstrahl spaltete mehr die gewaltige Wolkenbank des Himmels. Das fahle Grau spannte sich wie ein gewaltiges Tuch am Firmament, und kaum eine Wolke war zu sehen.
»Nein, ich werde dir nicht helfen können«, erklärte der Geistliche, »aber«, fügte er schnell hinzu, als er das enttäuschte Gesicht des anderen sah, »es gibt jemanden, der dir unter Umständen helfen kann, Ernesto.«
»Und wer soll das sein?« Ernestos Stimme klang ein wenig schrill.
Er fühlte sich auf den Arm genommen.
Der Pfarrer drehte sich um und sprach laut zur Tür hin, die auf den Gang führte.
»Kommen Sie herein, Señor Sinclair…«
***
Ich stieß die Tür auf, sah zuerst den Pfarrer und dann das überraschte Gesicht des jungen Ernesto Lazarro. Damit hatte er wohl nicht gerechnet, und ich vor zwei Tagen auch noch nicht.
»Guten Abend«, grüßte ich freundlich, wobei mir die spanische Sprache nur stockend über die Lippen kam.
Ernesto Lazarro schaute von mir zum Pater und wieder zurück.
»Wer ist das denn?« fragte er den Geistlichen.
»John Sinclair.«
»Kenne ich nicht.«
»Das ist mir klar. Mr. Sinclair oder Señor Sinclair ist Engländer und ein Polizeibeamter, der sich um gewisse Dinge kümmert, die eigentlich über unseren Verstand gehen. Man hat ihm den Spitznamen Geisterjäger gegeben, und das wohl nicht ohne Grund.«
Ernesto nickte, ohne jedoch zu verstehen. Seine Mundwinkel zuckten. Er traute sich kaum, die nächste Frage zu stellen. »Und wo sind Sie hergekommen?«
»Aus London.«
Ernesto Lazarro schüttelte den Kopf.
»Wegen mir?« fragte er leise und kaum hörbar.
»Auch.« Er konnte ja nicht wissen, daß sein Onkel mich alarmiert hatte. Der Polizeipräfekt besaß gewisse internationale Verbindungen. Auch nach London zu Scotland Yard. Und dieser Onkel, Jaime Lazarro, hatte ebenfalls Nachricht und Morddrohungen aus dem Jenseits bekommen. Nicht einmal, sondern mehrere Male.
Er nahm sie sehr ernst, und er erinnerte sich gleichzeitig an einen Fall, über den nur wenige hohe Polizeioffiziere Bescheid wußten, und der sich vor einigen Monaten in Spanien zugetragen hatte.
Damals war es um den Sarazenen-Dämon Okastra gegangen, und diesen gewaltigen, die Dimensionen des Normalen sprengenden Falls hatte ein Engländer zusammen mit seinem Freund und Kollegen gelöst. Das waren Suko und ich gewesen. In Spanien wußte man also, daß es jemanden gab, der sich um Dinge kümmerte, die den Bereich des Normalen verließen und sich in Dimensionen abspielten, die eigentlich unerklärbar waren.
Der Polizeioffizier hatte sich mit meinem Chef, Sir James Powell, in Verbindung gesetzt und ihn gewissermaßen um Amtshilfe gebeten.
Frei hatte ich zwar nicht gerade, ein gefährliches Werwolf-Abenteuer und eine Begegnung mit Lupina, der Königin der Wölfe, lag hinter mir, ansonsten aber herrschte in London
Weitere Kostenlose Bücher