038 - Die Wasserleiche im Rio Negro
hielt mich zurück.
Der tote Dämon stand ruckartig auf. Seine Gestalt schwankte hin und her. Er beugte sich über die Leichenteile, und seine Arme bewegten sich wie Windflügel.
Ich preßte die Lippen zusammen, riß die Arkebuse hoch und drückte ab. Der Schuß hallte wie ein Donnerschlag über die Stadt. Ich hatte gut getroffen. In der Brust des durch Magie erwachten Dämons klaffte ein gewaltiges Loch. Aus der faustgroßen Wunde quoll eine schleimige Masse, die auf die Körperteile des Inka-Königs tropfte. Immer mehr dieser dickflüssigen Masse rann aus dem Körper des Dämons, der unbeweglich stehengeblieben war. Die gallertartige Masse schien sich selbständig zu machen, eigenes Leben zu gewinnen. Sie warf Blasen, kroch über die Leichenteile und hüllte sie völlig ein. Die Teile des Toten fügten sich zusammen, verschmolzen, wurden eins mit dem Rumpf.
Der Dämon brach zusammen; sein Körper glitt einige Stufen hinunter, dann blieb er liegen.
Ich zog mich zurück. Meine Gefährten bewegten sich noch immer nicht, doch mich erfüllte eine dumpfe Ahnung. Ich wollte aus dieser unheimlichen Stadt raus – und zwar möglichst schnell.
Noch einmal sah ich auf die Plattform des Tempels. Und dann geschah das Unfaßbare.
Die Gestalt des toten Inka-Königs bewegte sich. Er setzte sich auf, und einer der Priester reichte ihm seinen Umhang.
Ich wich noch weiter zurück, als Atahualpa aufstand und nach seinem goldenen Zepter griff.
»Ich lebe wieder!« schrie der Herrscher. »Ich lebe, doch ich will meine Rache nicht sofort. Die fremden Eroberer sind zu mächtig. Aber ich werde wiederkommen. Ich fliehe, doch irgendwann wird die Flucht ein Ende haben. Ich nehme meine Stadt mit und kehre dieser Welt den Rücken – doch nicht für immer. Eines Tages komme ich zurück und werde mich rächen. Das wird sein, wenn ich mächtig genug bin.«
Die Stimme des Herrschers war in der ganzen Stadt zu hören. Aus allen Häusern strömten die Indianer. Ich war nur noch wenige Schritte von einem der Stadttore entfernt.
»Machu Picchu, die Prinzessin von königlichem Geblüt, wird einen Traum haben«, brüllte Atahualpa, »in dem wir alle leben werden. Am geeigneten Tag, zur richtigen Stunde, wird sie aus ihrem Traum erwachen und das Zeichen zum Kampf gegen die fremden Eroberer geben.«
Die Erstarrung fiel von meinen Gefährten ab. Sie sahen sich von schwer bewaffneten Inka-Kriegern umgeben und stellten sich augenblicklich dem Kampf. Doch diesmal hatten sie es nicht mit willigen Opfern zu tun. Die Inka-Krieger wehrten sich verbissen und töteten einige der Spanier.
Ein Sturm kam auf. Er war so gewaltig, daß ich in die Knie ging. Unheimliche Kräfte griffen nach mir. Wie von Geisterhand berührt, löste sich meine Rüstung auf; die Teile flogen durch die Gegend.
Ich rappelte mich hoch und stürmte auf das Stadttor zu. Der Sturm wurde zu einem Orkan. Wieder fiel ich zu Boden, verlor meinen Helm und weitere Teile meiner Kleidung, auch das Quipu, das ich seit Atahualpas Tod bei mir getragen hatte, doch darauf konnte ich jetzt nicht achten; ich mußte mich in Sicherheit bringen.
Die Stadt begann zu flimmern. Eine dunkle Wolke stieg aus dem Tempel auf und kroch langsam über die Gebäude, schien sie zu verschlucken. Der Tempel war nicht mehr zu sehen. Ein wildes Heulen erfüllte die Luft, und Sandwolken trieben auf mich zu und verklebten meine Augen. Doch ich robbte weiter. Ich verkrallte meine Finger in den Boden. Nur noch wenige Meter, und ich hatte das Stadttor erreicht.
Es schien Stunden zu dauern, bis ich endlich aus der Stadt heraus war. Erschöpft blieb ich liegen und starrte auf die Stadt, die in schwarze Wolken gehüllt war. Das Heulen wurde so stark, daß ich mir die Ohren mit beiden Händen zuhielt.
Dann lösten sich die Wolken auf und die Stadt war verschwunden.
Ich schloß die Augen und riß sie nach einiger Zeit wieder auf. Die Stadt blieb verschwunden.
Ich fühlte mich völlig erschöpft, drehte mich auf die Seite und schlief ein.
Lange konnte ich nicht geschlafen haben. Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Die Luft flimmerte, und ich sah seltsame Gestalten, die ungewöhnlich gekleidet waren und fremdartige Gegenstände in den Händen hielten, die mich an Waffen erinnerten. Plötzlich sah ich einen Inka-Krieger, der neben einer der seltsamen Gestalten auftauchte und mit seinem goldenen Zeremonienmesser ausholte und den Mann tötete. Dann verschwamm alles. Die Luft flimmerte stärker, und die seltsamen
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