038 - Die Wasserleiche im Rio Negro
Indianersiedlung entdeckte, ließ er sie kurzerhand überfallen, tötete die meisten Indianer und bemächtigte sich ihrer primitiven Boote. Er ließ eine Handvoll Soldaten mit den Pferden zurück, und wir bestiegen die Boote.
Ich war froh, dem Zwielicht des Urwalds entkommen zu sein. Vom Fluß aus sah der Urwald weniger bedrohlich aus. Überall sah man Orchideen und wild wuchernde Baumfarne mit riesigen Wedeln. Schmetterlinge und Kolibris flatterten über die Wasseroberfläche. Wenn die unzähligen Insektenschwärme nicht gewesen wären, hätte man die Bootsfahrt fast als Vergnügen betrachten können.
Nach zwei Tagen kam es zu einem seltsamen Zwischenfall. Ich saß zusammen mit Machu Picchu in einem Boot, das etwa zweihundert Meter Vorsprung vor den anderen gewonnen hatte. Plötzlich richtete sie sich auf, und ihr Gesicht erstarrte. Es schien, als hielte sie den Atem an. Dann blähten sich ihre Nasenflügel, und ihre Augen weiteten sich. Angestrengt starrte sie über den dunklen Fluß.
Irgend etwas schwamm auf uns zu. Es schwamm gegen die starke Strömung des Rio Negro. Noch war nicht zu erkennen, was es war, doch allein die Tatsache, daß es gegen den Strom schwimmen konnte, ließ es interessant erscheinen.
Auf meinen Befehl hin hörten die Männer mit dem Rudern auf und steuerten auf den seltsamen Gegenstand zu, der rasch näher kam.
»Da schwimmt eine Leiche!« brüllte einer der Spanier. »Und sie kommt uns entgegen!«
Die Männer brüllten aufgeregt durcheinander. Endlich faßte einer Mut und streckte eine Lanze aus. Er stieß nach dem Körper, und die Lanzenspitze verfing sich in einem Netz. Langsam wurde die Leiche herangezogen. Starke Hände packten zu, und Sekunden später lag der Tote im Boot.
»Diesen Mann kenne ich«, keuchte ich.
Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Es war Antonio de Aguilar!
Ich spürte, wie ich bleich wurde. Sein Körper wies keine Verwesungserscheinungen auf. Seine Schulter war zerschmettert, der Kopf gespalten, die Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht schmal und hager. Die Knoblauchschnur befand sich noch immer um seinen Hals, auch die Knoblauchzehen steckten noch in seinem Mund. Er hing in einem Fischernetz, und seine Hände waren mit einem Silberstift zusammengenagelt.
Meine Hände zitterten, und mir brach der Schweiß aus.
»Du kennst ihn?« fragte mich Machu Picchu.
»Es war ein Irrtum«, sagte ich mit zittriger Stimme. »Er erinnert mich an einen Mann, den ich vor einiger Zeit kennenlernte.«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, es gab keinen Zweifel, der Tote war Antonio de Aguilar, der Dämon, den ich 1532 getötet hatte. Und jetzt schrieb man das Jahr 1537. Fünf Jahre war es her, seit de Anguilar tot war. Mir war das alles unverständlich. Der Dämon mußte durch das Amazonas-Delta gegen den Strom heraufgetrieben sein. Aber das war einfach unmöglich!
»Werft ihn zurück in den Fluß!« brüllte ich, als ich mich etwas von meiner Überraschung erholt hatte.
»Nein!« kreischte Machu Picchu mit überschnappender Stimme.
Sie klammerte sich fast liebevoll an den Toten und nahm ihm den Knebel aus dem Mund.
Ich stand halb auf. »In den Fluß mit ihm!« sagte ich hart.
Die Spanier sahen mich unsicher an. Einer bückte sich und schnitt das Netz auf, ein anderer löste die Knoblauchschnur von seinem Hals.
Und dann spürte ich die seltsame Ausstrahlung, die von dem Toten auszugehen schien. Einige Augenblicke lang konnte ich mich nicht bewegen. Diese Zeit nützte Machu Picchu. Sie holte den Toten aus dem Fischernetz. Ihre Miene war sanft, und ihre dunklen Augen schimmerten geheimnisvoll.
»Die Prophezeiung ist wahr geworden«, sagte sie leise in der Inkasprache. »Ein Toter wird den schwarzen Fluß heraufschwimmen und uns Hilfe bringen.«
»Unsinn!« sagte ich. »Hört mir zu, Leute! Dieser Mann war zu seinen Lebzeiten ein gefährlicher Dämon. Er muß zurück in den Fluß geworfen werden.«
Doch die Spanier und auch die Indianer beachteten mich nicht. Sie ruderten weiter. Als ich eigenhändig den Toten ins Wasser werfen wollte, stellten sie sich gegen mich. Sie wollten, daß der Tote mitgenommen wurde.
Mir blieb nichts anders übrig, ich mußte mich fügen; doch immer wieder irrte mein Blick zu Antonio de Aguilar. Ich hatte geglaubt, diesen Dämon endgültig ausgeschaltet zu haben, doch das war ein Irrtum gewesen. Noch im Tod war er mächtig – wie mächtig, das sollte ich erst einige Tage später erfahren.
Ich unterhielt mich mit Pascual Martinez und sagte
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