0380 - Ich und der Poltergeist
möglicherweise eine lange Nacht werden. Aber das muß sich ergeben.«
»Gut, ich sage ihm Bescheid.«
Noch einmal bedankte ich mich bei Shao und legte auf. Als ich mich umdrehte und wieder dem Tisch zuwandte, hatte Sarah Goldwyn die Figur in die Hand genommen und drehte sie zwischen den Fingern. Von allen Seiten schaute sie sich das Kleinod genau an, ohne allerdings etwas feststellen oder bemerken zu können.
Ich nahm wieder Platz. »Hast du etwas gefunden?«
»Nein, nichts.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt keinen Hinweis darauf, daß die Figur magisch geladen sein könnte.«
»Das kann man auch so nicht sagen. Ich müßte sie höchstens in Kontakt mit meinem Kreuz bringen.«
»Und dann?«
»Nichts, Sarah. Das ist mir zu riskant. Stell dir vor, das Kreuz zerstört die Figur. Damit wäre auch unser letzter Hinweis und somit einzige Spur zerstört.«
»Das stimmt.«
»Suko wird kommen. Wenn wir ihm die Figur zeigen, weiß er möglicherweise Bescheid.«
»Und wenn nicht?«
»Müssen wir uns anders behelfen.« Ich schlug die Beine übereinander. »Vielleicht finden wir etwas in der Literatur. Du bist ja sehr gut damit bestückt.«
Lady Sarah zog ein bedenkliches Gesicht. »Was meinst du, was das für eine Arbeit ist, all die Bücher durchzuwälzen, die sich mit asiatischer Magie beschäftigen.«
»Vielleicht kehrt auch der Poltergeist zurück.«
»Würde dir das gefallen?«
»Als letzte Chance schon. Es kann sein, daß er uns unter Beobachtung hält. Da wird er schnell wissen, was wir geschafft haben. Glaubst du nicht auch?«
»Das kann sein.«
Ich sah mir noch einmal die kleine Figur an. Sie war tatsächlich täuschend echt diesem Poltergeist nachempfunden. Für meinen Geschmack mußte es einfach zwischen den beiden eine Verbindung geben.
Und die wollte ich herausfinden.
»Wie lange wird es dauern, bis Suko hier ist?« Lady Sarah unterbrach das Schweigen.
Ich hob die Schultern. »Wenn er sich rasch abtrocknet, kann er es gut schaffen.«
»Stand er unter der Dusche?«
»Genau.«
Sie lachte. »Das ist Pech.«
»Sonst trifft es mich immer.« Ich war unruhig, stand auf und suchte zwischen den Büchern, die sich mit der Mythologie des größten Erdteils beschäftigten. Die meisten waren sehr dick, trotzdem enthielten sie nur einen Bruchteil der Informationen über die Magie dieses fernen Orients. Mandra Korab, unser indischer Freund, war da in seiner Bücherei besser sortiert.
»Ob er tatsächlich nur an der Figur interessiert war?« fragte Lady Sarah.
»Was sollte er sonst gesucht haben?« Ich blieb am Regal stehen und schlug das Buch auf. Es beschäftigte sich mit ostasiatischer Mythologie und war zweisprachig geschrieben. Zum einen sah ich japanische Schriftzeichen, zum anderen einen englischen Text. Der interessierte mich nicht. Wichtiger waren die zahlreichen Abbildungen zwischen den Texten. Zwar konnte ich nicht sehr intensiv suchen, aber die Abbildung des Poltergeistes entdeckte ich bei meinem schnellen Durchblättern nicht.
»So wird es uns auch ergehen, wenn wir die weiteren Bücher durchsuchen«, sagte die Horror-Oma. Sie hatte mich die Zeit über genau beobachtet.
»Du bist so pessimistisch.«
»Das kann man hier auch werden.«
»Wieso?«
»Wenn ich daran denke, daß der Poltergeist in meine Wohnung gekommen ist, ohne daß ich es bemerkt habe, wird mir ganz anders.« Sie schüttelte sich, als hätte sie einen Regenguß mitbekommen.
»Warten wir es ab, Sarah.« Ich dachte wieder praktischer. »Wie ist das mit dem Fenster? Soll ich es provisorisch abdichten?«
»Nein, laß es mal sein. Ich rufe morgen einen Handwerker an, der sich um diese Dinge kümmern kann.«
Ich schaute auf die Uhr. Lange konnte Suko nicht mehr brauchen.
Ich kannte seinen Fahrstil.
»Willst du ihn unten abholen?«
»Klar.« Ich war schon auf dem Weg und stieg durch ein normal erhelltes Treppenhaus, das plötzlich keinen unheimlichen Eindruck mehr machte. Die Beule war gewachsen und wurde von Suko auch sofort bemerkt, als ich ihm die Tür öffnete.
Mein Freund und Kollege grinste. »Hat Lady Sarah einmal mit dem Holzlöffel zugeschlagen?« fragte er.
»Nein, es war eine Holzbank. Sie wollte fliegen lernen.«
»Hat sie es geschafft?«
»Ja, bis zu meinem Kopf.« Ich ließ Suko eintreten, der sich umschaute und bemerkte: »Das sieht nicht anders aus als sonst. Von wegen fliegende Bänke und so.«
»Du mußt unters Dach.«
»Auch das noch.«
Ich ging hinter meinem Freund her. Er roch nach der Dusche.
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