0399 - Totentanz im Urnengrab
das Rohrstück eines Liegestuhls.
Und diese Waffe schleuderte er im letzten Moment!
***
Manuels Schrei zitterte noch in der Luft, als die Stange ihr Ziel traf und von der Seite kommend gegen den Schädel des Häuptlings schlug. Es war natürlich riskant gewesen, denn in einem Reflex hätte der andere noch zustechen können, aber der Pfarrer behielt zum Glück die Nerven. Bevor die Spitze in seinem Hals verschwinden konnte, drückte er seinen Kopf nach vorn, warf sich selbst zu Boden, so daß ich freie Sicht und freies Schußfeld auf den Häuptling bekam, der allerdings ebenso schnell reagierte.
Er flog zur Seite und gleichzeitig nach hinten. Das Wasser spritzte auf, als er hineintauchte, sich hektisch bewegte, aber nur, um seinen Bogen in die Hand zu bekommen.
Den Pfeil hielt er noch in der Hand. Auf mich wirkte es so, als wäre der Pfeil aus den Wellen geflogen. Er hätte mich erwischen sollen, doch der Schußwinkel war zu schlecht, deshalb zischte er an mir vorbei.
Der Häuptling gab nicht auf.
Er rollte durch das Wasser, wirbelte auch Sand auf, bot ein schlechtes Ziel, und plötzlich stand er wieder da, mit einem zweiten Pfeil auf der Sehne.
In seiner Aufmachung wirkte er wie ein Relikt aus der grauen Vorzeit, und er schoß wieder. Diesmal hechtete ich zu Boden, sonst hätte mich der Pfeil erwischt.
Die Wellen umspülten den Mann, als er den dritten Pfeil auflegte und wieder auf mich zielte.
Ich dachte an die Worte des Geistlichen, schrie ihm zu, aufzugeben und dachte nicht mehr daran, daß er mich nicht verstand.
Dabei brachte ich es einfach nicht fertig abzudrücken.
Dafür schossen andere.
Hinter mir brüllten die Schüsse auf, und jede Kugel traf den Körper des Häuptlings, der einen makabren Tanz aufführte, bevor er in das Wasser kippte.
Nicht ein Laut des Schmerzes war aus seiner Kehle gedrungen.
Dieser Mann war gestorben wie ein Sieger.
Ich drehte mich um und spürte einen schlechten Geschmack in der Kehle, als ich die drei mit Revolvern bewaffneten Uniformierten sah, die den Häuptling auf dem Gewissen hatten.
Vielleicht war es für diese Leute Routine gewesen. Es konnte ihnen auch niemand verdenken. Was wußten sie schon von Magie, Mystik und einem geheimnisvollen Dschungelzauber?
Ramon Sainho stand bei dem kleinen Manuel und hatte den Jungen umarmt, denn er war es gewesen, der ihn gerettet hatte. Ich sah Tränen in den Augen des Geistlichen und reichte ihm die Hand.
»Dieser Mensch hat mir leid getan. Mein Gott, man hätte ihn nicht so abschießen müssen…« Der Geistliche sprach nicht mehr weiter und ließ den Jungen und mich stehen.
Er ging zum Wasser. Dort zogen die Polizisten die Leiche des Urwaldmenschen hervor, in respektabler Entfernung umringt von gaffenden Schaulustigen.
Der Pater sprach sehr laut mit den Polizisten, die ihm den Toten überließen.
Er kniete nieder, schloß die Augen der Leiche und gab ihr einen christlichen Segen. Dann erst durften die Beamten ihn mitnehmen.
Auch wir gingen mit ihnen, denn es gab noch einiges zu berichten.
Ich schaute noch einmal auf den toten Zombie. Männer in grauen Kitteln räumten die Trümmer zur Seite und breiteten soeben eine Decke über die Schreckensgestalt aus.
Die Copacabana hatte ihre Sensation. Doch wie ich diese Leute hier einschätzte, würde man vielleicht noch in dieser Nacht zur Tagesordnung übergehen.
Für sie war das Leben so kurz, daß sie jede Stunde, die es ihnen schenkte, auskosten wollten.
Und damit dies in Erfüllung gehen konnte, gab es Männer wie Pater Sainho, Suko oder mich.
Darüber war ich nicht einmal traurig…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Nr. 299 »In diesem Zimmer haust die Angst«
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