04 Im Bann der Nacht
Tatsächlich gelang ihr das sogar verdammt gut. Nie wieder würde sie sich in dieses ängstliche Mädchen verwandeln, das schäbige Musselinkleider trug - ganz zu schweigen von den höllisch engen Korsetts!
Das hieß allerdings nicht, dass sie jene schicksalhafte Nacht vergessen hätte. Oder Conde Cezar. Er hatte ihr einiges zu erklären. Nur deshalb war sie schließlich von ihrem momentanen Wohnsitz Los Angeles nach Chicago gereist.
Während sie geistesabwesend an dem Champagner nippte, der ihr von einem der Kellner mit bloßem Oberkörper aufgezwungen worden war, studierte Anna gründlich den Mann, der durch ihre Träume spukte.
Als sie in der Zeitung gelesen hatte, ein Conde aus Spanien würde anreisen, um an diesem Benefizevent teilzunehmen, hatte sie gewusst, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit darin bestand, dass dieser Mann ein Verwandter jenes Condes war, den sie in London getroffen hatte. Die Aristokratie war besessen davon, ihren Nachkommen den eigenen Namen zu vermachen. Als ob es nicht ausreichte, dass sie die gleichen Gene besaßen.
Ein Blick genügte allerdings, um zu wissen, dass es sich bei diesem Mann nicht um einen Verwandten handeln konnte. Mutter Natur war viel zu wankelmütig, um eine so genaue Kopie dieser feinen Gesichtszüge, der golden schimmernden Haut, der dunklen, glühenden Augen und des unwiderstehlichen Körpers zu schaffen … Und dann war da noch das Haar.
So schwarz wie die Sünde, floss es ihm wie ein glatter Fluss über die Schultern. Heute Abend hatte er die obersten Strähnen mit einer goldenen Spange nach hinten gerafft,
während die unteren Haarschichten über den teuren Stoff seines Smokings streiften. Falls es im gesamten Raum auch nur eine einzige Frau geben sollte, die sich nicht vorstellte, ihre Finger durch diese glänzende Mähne gleiten zu lassen, würde Anna ihre mit silbernen Perlen besetzte Handtasche verspeisen! Conde Cezar musste einen Raum nur betreten, um das Östrogen in Wallung zu bringen.
Diese Tatsache forderte prompt mehr als nur eine wütende Reaktion der am Brunnen posierenden Hollywoodschönlinge heraus, die die Redewendung »Wenn Blicke töten könnten …« nur allzu demonstrativ umsetzten.
Anna murmelte einen Fluch vor sich hin. Sie ließ sich ablenken. Okay, dieser Mann sah aus wie der Eroberer schlechthin. Und seine Augen strahlten eine Hitze aus, die Stahl aus einer Entfernung von hundert Schritten zum Schmelzen hätte bringen können. Aber sie hatte bereits einen hohen Preis dafür bezahlt, dass sie sich von dieser sinnlichen dunklen Schönheit hatte blenden lassen. Das würde nicht noch einmal passieren.
Anna beeilte sich, sich selbst davon zu überzeugen, dass das Prickeln in ihrer Magengrube nur von den teuren Champagnerblasen rührte, aber sie versteifte sich trotzdem, als sie plötzlich den unverkennbaren Geruch von Äpfeln wahrnahm, der in der Luft lag. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste sie, wem sie gleich in die Augen blicken würde. Die einzige Frage war … warum?
»Na, wenn das nicht Anna ist, die gute Samariterin«, vernahm sie Sybil Taylors Stimme. Ihr vordergründig süßes Lächeln hatte einen gehässigen Zug. »Und das auf einer der Wohltätigkeitsveranstaltungen, von denen behauptet wird, dass es sich um nicht mehr als eine weitere Gelegenheit für die Promis handeln würde, um sich den Paparazzi zu präsentieren.
Ich wusste immer, dass diese selbstgerechte Haltung nur geheuchelt ist.«
Anna hätte sich am liebsten übergeben. Trotz der Tatsache, dass beide Frauen in L.A. lebten und Anwältinnen waren, hätten sie nicht unterschiedlicher sein können. Sybil war eine große, kurvenreiche Brünette mit heller Haut und großen braunen Augen. Anna dagegen war gerade einmal einen Meter fünfzig groß und besaß braunes Haar und haselnussfarbene Augen. Ihr Gegenüber war von Beruf Firmenanwältin mit einer Moral von … nun ja, eigentlich hatte sie überhaupt keine Moral. Anna arbeitete in einer freien Anwaltskanzlei, die jeden Tag gegen die maßlose Gier von Unternehmen ankämpfte.
»Offensichtlich hätte ich die Gästeliste etwas sorgfältiger lesen sollen«, gab Anna zurück. Sie war nicht auf den Anblick dieser Frau vorbereitet gewesen, aber auch nicht völlig überrascht. Sybil Taylor hatte ein Talent dafür, in Berührung mit den Reichen und Berühmten zu kommen, wo auch immer sie zu finden waren.
»Oh, ich würde sagen, Sie haben die Gästeliste so genau studiert wie jede andere Frau in diesem Raum.« Sybil warf einen
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