04 - komplett
Größe, ich kann dir also etwas Anständiges zum Anziehen geben. Wenn ich du wäre, mein Freund, würde ich ein schönes, heißes Bad nehmen. Danach essen wir etwas und unterhalten uns.“
Cassie hielt auf der obersten Stufe inne, als sie Stimmen in der Eingangshalle von Longbourne hörte. Das war doch Vincent! Sie hatte frühestens in zwei Tagen mit ihm gerechnet, und ihr Herz machte einen Sprung vor Freude. Eilig lief sie die Treppe hinunter und sah noch, wie er sich den Reisemantel auszog.
„Cassie.“ Er kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu. „Wie geht es dir, mein Liebes?“
„Sehr gut“, antwortete sie und errötete, als sie die herzliche Zuneigung in seinem Blick las. „Ich bin froh, dass du doch früher kommen konntest.“
Er begrüßte sie mit einem Kuss auf die Wange. „Meine Angelegenheiten benötigten nicht so viel Zeit, wie ich fürchtete. Außerdem wollte ich dich sehen. Wir müssen miteinander reden ...“
„Ah, da bist du ja!“, unterbrach ihn eine dröhnende Stimme.
Erstaunt sah Vincent auf. Das konnte nur einer sein. Sir Septimus war bereits auf Longbourne? Sein Onkel kam gerade aus dem Salon in die Halle heraus.
„Konntest wohl nicht länger von ihr fernbleiben, was? Nun, ich kann dich gut verstehen. Du hast da ein wirklich temperamentvolles Füllen gefunden, Carlton. Hat mehr Mumm in ihrem kleinen Finger, als deine Mutter je hatte.“
Vincent machte die unverblümte Unhöflichkeit seines Onkels nichts aus, wenn er sie gegen ihn selbst richtete, würde allerdings nicht zulassen, dass er seine Mutter beleidigte, selbst wenn er damit Cassie ein Kompliment machen wollte.
„Lady Longbournes Gesundheit war nie die beste“, entgegnete er scharf.
„Du meinst, sie benutzt sie als Ausrede, um dich um den kleinen Finger zu wickeln“, meinte Septimus spöttisch. „Deine Frau wird dir keine solchen Spielchen spielen, darauf verwette ich meinen Kopf!“
Vincent setzte schon zu einer bissigen Antwort an, aber Cassie kam ihm zuvor.
„Sie sollten nicht so leichtfertig Wetten abschließen, Sir Septimus“, sagte sie mit einem Augenzwinkern. „Erst gestern Abend erklärten Sie mir doch, ich sei eine verschlagene Spitzbübin und man wisse nie, was ich alles tun könnte, um meinen Willen durchzusetzen.“
„Das stimmt!“, rief Sir Septimus und lachte dröhnend. Dann nickte er Vincent noch einmal zu und schlenderte in den Salon zurück, wo man ihn zu seinem Sohn sagen hörte, er möge sich gefälligst in den Garten begeben und seinem Vater so viel wie möglich aus dem Weg gehen.
„Was hatte das zu bedeuten?“, fragte Vincent verwundert. „War das wirklich mein Onkel, oder befinde ich mich im falschen Haus? Ich habe ihn noch nie so gut gelaunt mit jemandem reden hören.“
„Doch, das war Septimus“, bestätigte Lady Longbourne, die gerade die Treppe herunterkam. Sie begrüßte ihren Sohn mit einem Wangenkuss und lächelte Cassie zu. „Deine Verlobte hat ihn verzaubert. Ich schwöre dir, ich zittere manchmal vor Angst, so wie zwischen den beiden die Fetzen fliegen. Aber deinem Onkel scheint es zu gefallen, dass Cassie ihm die Stirn bietet. Ich habe ihn noch nie so leutselig erlebt.“
„Allerdings ist er immer noch so unhöflich wie eh und je“, bemerkte Vincent trocken.
„Ach, das ist nun mal seine Art“, sagte Lady Longbourne. „Allerdings ist er nicht halb so scheußlich zu mir wie sonst. Vielmehr nannte er mich gestern sogar seine liebe Emmeline und drückte mir dann auch noch die Hand!“ Die Erinnerung daran schien sie fast zu überwältigen.
„Wie unangenehm für dich, liebste Mama“, rief Cassie aus.
„Ja, das war es wirklich, denn ich bin es nicht gewohnt und war richtig erschrocken.
Aber das nächste Mal werde ich vorgewarnt sein.“
„Du rechnest doch sicher nicht damit, dass es ein nächstes Mal gibt?“ Cassie zwinkerte ihr belustigt zu. „Ich vermute, er wird nur allzu bald wieder er selbst sein.“
„Glaubst du wirklich?“ Lady Longbourne lachte. „Nun, ich mache mich jetzt besser auf die Suche nach deiner Tante Felicity, Carlton, mein Lieber. Wir sehen uns dann später. Felicity schlug vor, in den Wäscheschränken nachzuschauen, ob es genügend saubere Bettwäsche für alle Gästezimmer gibt.“
„Mama scheint energischer zu sein als gewöhnlich.“ Vincent sah ihr verblüfft nach.
„Es gibt so viel zu tun“, erklärte Cassie. „Ich bin auf dem Weg zum Pfarrhaus, um Mrs. Walker zu bitten, uns Vasen für die Blumen zu
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