04 - komplett

nichts anderes übrig.“
    „Ja, du hast sicher recht“, gab sie widerwillig zu. „Aber später?“
    „Das fragte ich mich auch oft“, sagte Jack. „Obwohl ich in meinem Herzen wusste, dass Vinnie nach mir gesucht haben musste. Er hätte mich nicht einfach vergessen.
    Er kehrte an die Stelle zurück, wo man auf mich geschossen hatte, Cassie. Er suchte überall nach mir, aber Louise hatte mich vor ihm gefunden. Sie brachte mich zu sich nach Hause, in ein altes Schloss, von dem kaum jemand wusste. Und im Wald, wo Vinnie mich fallen sah, gab es viele frische Gräber. Die französischen Bauern hatten jeden begraben, den sie fanden – ihre eigenen Soldaten ebenso wie die feindlichen.
    Wenn Louise nicht gewesen wäre, hätten sie wohl auch mich dort begraben.“
    „Ja.“ Cassie strich ihm zärtlich über die Wange, während sie sich vorzustellen versuchte, wie grausig es nach einer blutigen Schlacht zugegangen sein musste. „Ich fange an zu verstehen, Jack. Wahrscheinlich hat Vincent wirklich nicht anders handeln können. Es kommt mir sehr grausam vor, aber es war eben Krieg.“
    „Vinnie hat sehr darunter gelitten. Er gab sich die Schuld an allem, weil er mich mitgenommen hatte. Aber er tat nur, was damals getan werden musste. Versprich mir, dass du es ihm nicht vorhalten wirst.“
    „Ja, natürlich“, sagte sie leise. Jetzt wurde ihr auch klar, dass Vincent nicht anders hatte handeln können, als er das verletzte Reh erschoss. „Aber jetzt musst du mir alles über Louise erzählen. Wer ist sie und was bedeutet sie dir?“ Sie lächelte. „Ich habe das Gefühl, sie muss etwas sehr Besonderes sein.“
    „Ja, das ist sie. Für mich ja“, antwortete er mit leuchtenden Augen. „Ich verdanke ihr mein Leben, Cassie. Und meine Gesundheit. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte man mich lebendig begraben. Sie sah, dass ich einen Finger bewegte, und ließ mich von ihren Arbeitern nach Hause tragen, wo sie mich gesund pflegte.“
    „Und ist sie hübsch?“, fragte Cassie ein wenig eifersüchtig.
    „Sie hat honigblondes Haar und grüne Augen“, antwortete er. „Sie ist zwar nicht wirklich hübsch wie zum Beispiel Sarah Walker. Sie ist schön, aber das drückt es nicht richtig aus. Sie ist ein Mensch mit Seele und besitzt ein gütiges Herz.“ Er errötete verlegen.
    „Dann bin ich froh, dass du sie gefunden hast“, sagte Cassie liebevoll. Wenn es Louise gelungen war, ihren Bruder so tief zu rühren, dann verdiente sie seine Liebe.
    „Und jetzt erzähl mir alles.“
    Die Geschichte schien kein Ende nehmen zu wollen, denn Jack ließ keine Einzelheit seiner qualvollen Odyssee aus. Als er endete, war Cassie den Tränen nahe und wusste, sie schuldete der Französin unendlich viel Dank.
    „Du liebst sie also“, sagte sie leise und nahm seine Hand in ihre. „Und liebt sie dich auch?“
    „Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum“, meinte er mit einem glücklichen Lachen, „aber sie scheint mich wirklich zu lieben. Weißt du, Cassie, ihr beide seid euch sehr ähnlich. Ich glaube, ich hätte sie geliebt, selbst wenn sie mir nicht das Leben gerettet hätte.“
    „Ich bin so froh für dich, liebster Bruder.“
    „Du wirst sie auch ins Herz schließen, Cassie.“
    „Das habe ich schon getan. Werdet ihr heiraten?“ Er nickte. „Und ihr werdet natürlich in Frankreich leben.“ Sie drückte seine Hand. „Du wirst dort glücklicher sein. Unter Fremden, die dich annehmen, wie du bist, und dich nicht bemitleiden werden.“
    „Wie gut du mich kennst.“ Er küsste sie auf die Wange. „Aber du wirst mir sehr fehlen.“

    „Du mir auch“, flüsterte sie. „Doch du gehörst jetzt zu Louise. Du musst zuerst an sie denken.“
    „Du besuchst uns oft, ja? Vinnie wird mit dir kommen. Ich verkaufe unseren Familiensitz, und mit dem Geld vom Verkauf werde ich das Schloss bewohnbar für uns machen.“
    „Und du bekommst die Hälfte von Tante Gwendolines Vermögen. Ich möchte, dass du es annimmst, Jack.“
    „Nicht die Hälfte, Cassie“, antwortete er. „Du bist zu großzügig. Eine kleine Summe, die uns in Frankreich helfen wird, aber nicht die Hälfte.“
    „Widersprich mir nicht“, sagte Cassie mit fester Stimme. „Ich habe es bereits mit Carlton besprochen und bin entschlossen.“ Sie sah ihn so finster an, dass er lachen musste. „Das ist nicht komisch!“
    „Miss Karotte Trotzkopf“, neckte Jack sie lächelnd. „Diese Eselin war im Vergleich zu dir harmlos, Cassie.“
    Cassie lachte. „Major