04 - Winnetou IV
Balkengerüste, mit deren Hilfe an dem unteren Teil einer Kolossalstatue gearbeitet worden war. Das eine Bein war bis zum Knie, das andere bereits bis zur Hälfte des Oberschenkels entwickelt. Man sah deutlich, daß die Figur eine indianische Reithose und Mokassins tragen sollte.
„Welch eine Sünde!“ klagte das Herzle. „So ein formloses Menschenwerk grad vor so ein Gotteswunder zu stellen! Wer ist der Mann, der das ersonnen hat?“
„Es ist nicht einer, sondern es sind vier!“ antwortete Tatellah-Satah. „Old Surehand, Apanatschka und ihre Söhne!“
„Was? Wie?“ rief ich aus. „Soll diese Figur hier etwa Winnetou werden?“
Der Medizinmann nickte nur.
„Unmöglich! Hierher!? Ich denke, man will ihn auf die Höhe des Berges stellen!“
Seit wir uns in diesem Tal befanden, waren wir nicht mehr in der Mitte, sondern an der Spitze der Trabanten geritten. Der ‚Junge Adler‘ befand sich also bei uns. Er antwortete:
„Das ist richtig. Die endgültige Figur soll auf den hohen Bergesvorsprung, den ich Euch noch zeigen werden. Das Modell steht in der Unterstadt in einem besonderen Gebäude. Dieses hier soll der Probeversuch sein. Von ihrem Gelingen hängt es ab, ob der Plan auszuführen ist oder nicht. Zu so einem Kolossalwerk sind auch kolossale Mittel nötig. Um diese Mittel zusammenzubekommen, muß man die Geber für das Werk begeistern. Darum hat man gerade diesen Platz für die Probestatue gewählt. Old Surehand und Apanatschka bauen sie aus ihren eigenen Mitteln. Die Mittel zur Ausführung des eigentlichen Werkes erwartet man von der roten Nation. Um diese zu begeistern, ist der Platz hier am Schleierfall am geeignetsten. Da soll die Statue vorgeführt werden. Da soll sie beleuchtet werden, des Nachts, mit Elektrizität, mit Lampions und künstlichem Feuerwerk. Man rechnet dabei auf die jedenfalls großartige, überwältigende Mitwirkung des Schleierfalls.“
„Und das duldet Ihr?“ fragte das Herzle, das außerordentlich kunstempfindlich ist und sich durch diesen Plan wie innerlich verwundet fühlte.
„Ich nicht!“ antwortete Tatellah-Satah, indem er wie schwörend die Hand erhob. „Doch stand ich allein. Ich konnte nur vorbereiten und mußte warten. Nun aber der gekommen ist, auf den ich hoffte, gebe ich ihm dieselbe Frage: Und das duldest du?“
Er richtete sie an mich. Da stieg etwas ganz Eigentümliches, etwas Unbeschreibliches in mir auf.
„Habe ich Einfluß auf dein Volk, auf deine Rasse?“ fragte ich ihn. „Nein!“
„Nein?“ fragte er. „Und hättest du ihn nicht, so bist du doch der, der du bist. Ich brauche dein Auge; ich brauche dein Ohr; ich brauche deine Hand; ich brauche dein Herz. Wenn du mir das gibst, so werde ich siegen!“ Da reichte ich ihm die Hand und antwortete:
„Hier Auge und Ohr, hier Hand und Herz. Ich bin dein!“
Da drückte er mir die Hand, daß es mich fast schmerzte, und sprach:
„So heiße ich dich zum zweiten und zum höchsten Male willkommen! Du sollst mein Gast sein, wie noch niemand mein Gast gewesen ist – – –“
Schnell unterbrach ich ihn:
„Laß mich dein Gast sein, wie ich es wünsche, anders nicht!“
„Und was wünschest du?“
„Ein freier Mann zu sein, kommen und gehen zu dürfen, ohne gehindert zu werden. Vertrauen bei dir zu finden, so wie du dir selbst vertraust!“
„So sei es! Du bist dein eigner Herr, und alles, was ich habe, ist dein!“
Da kam es wieder über mich wie vorhin. Ich deutete auf das schwer lastende Bauwerk und sprach:
„So sage ich dir: Eher werden diese Quadern von selbst in der Erde verschwinden, auf die man sie gegründet hat, als daß man meinen Winnetou mit Lampions und Feuerwerk beschimpft! Doch versuchen wir es zunächst in Liebe!“
„Ja, zunächst in Liebe“, stimmte er bei. „Kommt, kehren wir um; wir sind hier fertig!“
Wir ritten den Weg, den wir gekommen waren, zurück, bis wir die Stelle erreichten, an welcher der Reitpfad zur Seite ab hinauf nach dem Schloß führte. Dem folgten wir. Unterwegs erfuhren wir von dem ‚Jungen Adler‘, daß der Platz am Schleierfall jetzt regelmäßig von Arbeitern wimmelte und heute nur deshalb so leer und einsam gewesen sei, weil alle Kräfte nach den Steinbrüchen mußten, um neue Quadern zu holen. Das Herzle war sehr ernst und nachdenklich geworden. Sie sah, daß ich sie daraufhin beobachtete und wohl gern den Grund erfahren hätte; darum sagte sie, ohne diese meine Frage abzuwarten:
„Dein Wort, daß diese Quadern wohl eher in die
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