04 - Winnetou IV
Ich bin nicht allein!“
Ich winkte. Da kamen Pappermann, Intschu-inta und die Winnetous, das Herzle langsam hinterher.
„Uff, uff!“ rief der Kiowa, als er Pappermann erblickte. „Ein halbes, blaues Gesicht!“
„Und eine weiße Squaw!“ fügte der Komantsche hinzu, jetzt wirklich erschrocken.
„Ihr habt von diesem blauen Gesicht und von dieser Squaw gehört. Wer also bin ich?“
„Old Shatterhand!“ antwortete der Komantsche.
„Old Shatterhand!“ rief auch der Kiowa. „Unser Feind, unser grimmigster Feind!“
„Das ist eine Lüge! Ich bin keines Menschen Feind. Ja, ich könnte wohl eher der Feind eines Weißen als eines Roten sein! Fragt eure Häuptlinge, wie ich sie geschont habe! Fragt eure alten Krieger, ob sie ein Wort des Hasses von mir hörten oder euch eine einzige Tat der Rache von mir berichten können! Ich liebe alle Menschen, und ich liebe auch euch. Ich will euer Glück und trete darum jeder eurer Absicht entgegen, die euch zum Unglück führt. Eine solche Absicht ist es, die ihr heut verfolgt. Ich dulde nicht, daß sie zur Ausführung kommt. Setzt euch wieder nieder, und gebt eure Messer ab. Ihr seid gefangen!“
„Wir sind nicht gefangen, sondern – – –“
Mit diesen Worten sprang der Komantsche auf mich ein, doch wich ich einen Schritt nach rechts, faßte ihn an der Seite und warf ihn zur Seite. Intschu-inta, der Riese, kniete ihm auf die Brust und überwältigte ihn ohne alle Mühe. Ebenso verfuhr der wackere, alte Pappermann mit dem Kiowa. In kürzester Zeit waren die beiden Gefangenen derart gefesselt, daß sie sich nicht rühren konnten. Wir setzten uns zu ihnen nieder. Die Winnetous holten unsere Pferde. Ich aber nahm vor allen Dingen die Karte wieder aus der Tasche und schlug sie auf, um sie genau zu betrachten. Sobald ich den ersten Blick auf sie geworfen hatte, wußte ich, woran ich war. Ich wendete mich an den Komantschen:
„Avat-towah, der Medizinmann der Komantschen, mag mir sagen, ob er eine große Sammlung von Büchern, also eine Bibliothek, besitzt.“
„Ich habe keine“, antwortete er. „Es gibt bei allen Männern der Komantschen keine.“
„Weiß Avat-towah vielleicht, wo es eine gibt?“
„Hier am Mount Winnetou, bei Tatellah-Satah.“
„Sonst nirgends?“
„Ich weiß keine andere.“
„So wirst du diese Karte nicht wiederbekommen. Ich habe sie ihrem rechtmäßigen Eigentümer auszuliefern. Sie gehört Tatellah-Satah. Sie wurde ihm gestohlen.“
„Das ist eine Lüge!“ brauste der Medizinmann auf.
„Das ist keine Lüge, sondern die Wahrheit.“
„Beweise es!“
„Sofort! Nur besitzt du wahrscheinlich nicht die Kenntnisse, welche dazu gehören, zu verstehen, was ich sage. Diese Karte ist nämlich numeriert, und zwar im alten Pokontschidialekt der Mayasprache. Hier unten, in dieser Ecke, stehen die Hunderter: Jo-tuc: d.h. fünfmal vierzig; das bedeutet also zweihundert. Und hier in der anderen Ecke stehen die Zehner und Einer: wuk-laj; das heißt sieben und zehn, also siebzehn. Diese Karte ist also Nummer zweihundertsiebzehn der betreffenden Bibliothek oder einer ihrer Abteilungen. Ich werde sie Tatellah-Satah zeigen, und es wird sich herausstellen, daß sie ihm gehört.“
„Nichts hast du ihm zu zeigen, und nichts hat ihm zu gehören! Diese Karte ist gestohlen, aber erst jetzt von dir! Du bist der Dieb!“
„Schweig, sonst geb ich dir eins auf das Maul, alter Spitzbube!“ unterbrach ihn Pappermann. „Wo sind die Brüder Enters?“
Das war kein übler Trick, daß er diesen Namen brachte. Die beiden Roten erfuhren dadurch in bequemster Weise, daß wir nicht so unwissend waren, wie sie wahrscheinlich annahmen. Sie konnten ihre Überraschung nicht ganz verbergen, doch beherrschten sie sich schnell, und der Komantsche fragte in gleichgültigem Ton:
„Enters? Wer ist das?“
„Das sind die zwei Brüder, die versprochen haben, uns an euch auszuliefern. Nun wißt ihr genug, um überzeugt sein zu können, daß wir gar keinen Grund und gar keine Lust haben, euch in Samt und Seide einzuwickeln. Sagt noch ein einziges Wort, was uns nicht gefällt, so setzt es Hiebe, ganz gewaltige Hiebe ab!“
Es wäre zwar besser gewesen, wenn Pappermann mich hätte reden lassen; aber heut war es nach seinen früheren Jahren zum ersten Mal seit langer, langer Zeit, daß er wieder einmal Gefangene vor sich hatte, und so gönnte ich dem alten, braven Burschen ganz gern die billige Genugtuung, ein wenig zu bramarbasieren. Die beiden Medizinmänner
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