04 - Winnetou IV
Herzle.
„Ganz hinten, am Ende des Tales, wo es direkt an den Mount Winnetou stößt. Kommt!“
Wir ritten weiter.
Also hier war es, wo die verbündeten Sioux, Utah, Kiowa und Komantschen sich verstecken wollten. Der Platz war gar nicht übel von ihnen gewählt. Nur lag er von uns sehr weit entfernt, und wer uns von hier aus überfallen wollte, der hatte vorher einen fünf Stunden langen, mühsamen Weg zurückzulegen. Oder gab es vielleicht einen kürzeren, bequemeren Weg? Und war er unseren Gegnern bekannt? Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf. Sie erschienen mir der Beobachtung wert. Und sonderbar, kaum hatte ich ihnen Raum gegeben, so parierte ich mein Pferd und winkte den anderen, auch innezuhalten. Ich sah nämlich eine Spur. Ich stieg ab, sie zu untersuchen. Sie stammte von zwei Pferden, die nicht denselben Weg wie wir gekommen waren, sondern links von der Höhe herab, und zwar vor höchstens einer Stunde. Es gab also zwei Reiter, die da vor uns waren. Wer sie waren, konnte ich aus den Spuren nicht ersehen, jedenfalls aber Indianer. Ich nahm meinen Revolver aus der Tasche. Wir ritten weiter, aber langsam und vorsichtig, so geräuschlos wie möglich, immer einer hinter dem anderen, ich voran. Wir folgten den Spuren, die in dem weichen, von den Höhen herabgeschwemmten Boden sehr deutlich zu sehen waren. Sie führten am Fluß hin, zwischen den Büschen hindurch, nach dem hinteren Teil der Talpfanne.
„Sie sind nach der Höhle“, sagte Intschu-inta. „Sie kennen sie!“
„Und zwar so gut“, fügte ich hinzu, „daß sie quer über die wilden Vorberge gekommen sind und sie dennoch gefunden haben. Ihre Kenntnis ist also genauer noch als die deine.“
Wir näherten uns dem Ende des Tales. Es hörte da auf, wo der Fluß direkt aus dem Innern des Berges trat. Eine Öffnung führte hinein. Sie war dreimal breiter als der Fluß und nur so hoch, daß ein Reiter hinein konnte, ohne sich bücken zu müssen. Das war der Eingang zu der großen Höhle, die wir kennenlernen wollten. Vor diesem Eingang gab es einen kleinen, freien Platz, der von dem herabstürzenden Steingeröll bestrichen wurde und darum vegetationslos war. Am Rand dieses Platzes angekommen, hielten wir an, denn nun sahen wir die beiden Reiter, die wir suchten. Sie waren abgestiegen und lagen auf dem Bauch an der Erde, mit den Köpfen über etwas Weißes gebeugt, was ein Papier oder sonst dem ähnliches zu sein schien. Ihre Pferde knusperten von den letztjährigen Zweigen der Büsche. Die beiden Sättel lagen in der Nähe, dabei einige Taschen und Pakete, auch die Gewehre.
Wir stiegen ab und führten unsere Pferde eine kleine Strecke zurück, um sie dort anzubinden, sonst konnten wir durch sie verraten werden. Dann kehrten wir wieder nach dem Buschrand zurück, um die beiden Männer zu beobachten.
„Kennst du sie?“ fragte ich das Herzle.
„Nein“, antwortete sie.
„Du hast sie aber gesehen!“
„Nein, gewiß nicht!“
„Aber doch! Sogar mehrere Stunden lang!“
„Wo?“
„Im ‚Haus des Todes‘, bei der Beratung der Häuptlinge. Es sind die beiden Medizinmänner der Kiowa und der Komantschen, welche den Altar öffneten.“
„Wirklich?“
„Ganz gewiß!“
„Dein Auge ist sicherer als das meine. Ich habe sie nur bei dem ungewissen, flackernden Licht der Feuer gesehen.“
„Ich auch. Aber der Westmann gibt sich vor allen Dingen Mühe, sich die Gesichtszüge derer, die ihm wichtig sind, so gut wie möglich einzuprägen. Darin bist du nicht geübt. Das Papier, mit dem sie sich beschäftigen, kann kein gewöhnliches sein. Mir scheint, es ist eine Karte oder so etwas. Sie fahren mit den Fingern darauf herum, heftig, als ob sie sich stritten. Sie sprechen dabei so laut, daß man es sogar hier bei uns fast hören kann. Ich schleiche mich hin, sie zu belauschen.“
„Ich mit?“
„Nein, liebes Herzle“, lachte ich. „In welcher Sprache willst du lauschen? Und dein Anschleichen dürfte wohl etwas laut ausfallen.“
„Schade! Ich möchte gern auch mittun! Wie nun, wenn sie dich ermorden wollen? Erschießen, erschlagen oder erstechen?“
„So kommst du schnell, mir zu helfen!“
„Das darf ich?“
„Ja, das darfst du! Du darfst sogar dabei schreien und brüllen und heulen, so sehr und so viel du nur willst!“
„So geh! Ich komme sogar auf alle Fälle!“
Ich gab Pappermann und Intschu-inta die nötige Anweisung und trat dann zwischen die Büsche, um mich zu den Indianern hinzuschleichen. Das fiel mir nicht
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