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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bisher glaubten. Sie nahmen an, er sei nur ihr Gott, nicht aber auch der Gott aller anderen, die da leben. Falls dies auf Wahrheit beruhte, wie klein wäre er da, wie klein! Der Gott einiger armen Indianerscharen, die von den Bleichgesichtern zermalmt, zerquetscht und zertreten werden! Wie groß und wie mächtig müßte dagegen der Gott der Weißen sein! Und wie sehr müßten wir da wünschen, daß dieser Gott der Weißen an Stelle des ohnmächtigen Manitou der Indianer trete! Doch dieser Wunsch wurde uns erfüllt, noch ehe wir ihn empfanden. Schaut hin auf das Kreuz! Es blüht, um uns zu erlösen. Es nimmt uns Manitou, um Manitou uns zu geben. Es sagt uns, daß es nur einen einzigen gibt, den Allmächtigen, den Allweisen, den Allstarken, den Allgütigen, und daß wir ihn seiner Allstärke und seiner Alliebe berauben, indem wir ihn nur für uns haben wollen, für uns allein, die wir die unglücklichste aller Nationen sind und die schwächste aller Rassen. Das Kreuz ruht in der Erde und ragt zu Gott empor. Das ist das eine, was es bedeutet. Aber es breitet seine beiden Arme aus, um jedermann und alle Welt zu umfangen. Das ist das andere, was es bedeutet. Niemand von uns hat das gewußt. Old Shatterhand war es, der uns dieses Wissen brachte. Wir aber nahmen es nicht an. Ein einziger nur bewegte diese Kunde in seinem Herzen. Dieser einzige war Winnetou. Er beobachtete; er prüfte. Er begann zu glauben. Und je fester dieser sein Glaube wurde, desto öfter kam er zu mir, um mich zu bitten, diese Leidensblumen und dieses Kreuz an die Lieblingsstätte meiner Gebete pflanzen zu dürfen. Es war sein inniger Wunsch, Old Shatterhand zu mir zu bringen. Sein weißer Bruder sollte hier, an dieser Stelle, sehen, wie der Kreuzesgedanke und die Überzeugung von einem einzigen, großen Manitou im Herzen seines roten Bruders Wurzel gefaßt und sich zur Blüte und Frucht entwickelt habe. Ich aber war dagegen. Ich haßte Old Shatterhand. Da ging Winnetou, der Herrliche, der Unvergleichliche, hin und kam nicht wieder. Doch was in seinem Herzen lebte, das kehrte zurück. Das kam zu mir. Das trieb mich tagtäglich hierher, in diesen Raum. Das lehrte mich nachdenken. Das brachte mir Licht. Das lehrte mich beten, nicht zu dem schwachen, kleinen Manitou der roten Männer, sondern zu dem gewaltigen, unendlichen, erhabenen Manitou Old Shatterhands, der allein imstande ist, uns, seine roten Kinder, neu zu beseelen, damit wir endlich werden, was wir werden sollten, aber nicht geworden sind. Heut ist er da, Old Shatterhand, dem ich mein Haus und mein Herz versagte. Heut liebe ich ihn. Heut weiß ich es, daß ich nichts vermag ohne ihn, ganz ebenso, wie die rote Rasse ohne die weiße nichts vermag. Er wird das Bleichgesicht sein, welches die uns verlorengegangenen Medizinen zurückzubringen hat. Wißt ihr, was das bedeutet? Er wird es sein, der uns in Liebe vereint, obgleich wie uns im Haß zerstören wollen. Und während wir –“
    Er hielt mitten im Satz inne. Unsere Fackel, die wir noch nicht hatten auslöschen können, begann sehr laut zu knistern. Sie sprühte Funken. Sie gab Rauch, der neben mir aus der Öffnung stieg und von den Indianern sofort gerochen und gesehen wurde. Sie schauten alle zu mir her. Tatellah-Satah stand überrascht von seinem Sitz auf. So blieb mir nichts anderes übrig, als, um mich sehen zu lassen, aus der Bodenöffnung zu steigen.
    „Old Shatterhand!“ rief er aus. „Old Shatterhand, von dem ich spreche!“
    „Old Shatterhand! Er ist's? Er ist's?“ wurde er von den Häuptlingen gefragt.
    „Ja; er ist es!“ antwortete er. „Ein Loch im Boden! Wo führt es hin? Wo kommst du her?“
    Diese letzteren Worte waren an mich gerichtet. Ich ging auf ihn zu, zog die Karte, die ich dem Medizinmann der Komantschen abgenommen hatte, aus der Tasche, faltete sie auseinander, gab sie ihm und antwortete:
    „Schau hier nach! So wirst du sehen, woher ich komme.“
    Er sah die Überschrift, und er sah die Zahl, da rief er auch schon aus:
    „Aus der geheimen Bibliothek! Die hochwichtige Karte, die einem meiner Ahnen gestohlen worden ist! Nach deren Dieb wir bisher vergeblich forschten! Im Verdacht stand der damalige Medizinmann der Komantschen, der mehrere Wochen lang hier Gast gewesen war und die Bibliothek sehr oft betreten hatte. Und jetzt bringt Old Shatterhand sie mir! Welch ein Wunder, welch ein großes Wunder! Von wem hast du sie?“
    „Von dem Urenkel des Diebes. Ich zeige dir ihn.“
        Es genügte ein Ruf von mir,

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