04 - Winnetou IV
erstaunt.
„Ja, du!“
„Unmöglich!“
„Ganz und gar nicht unmöglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Willst du schweigen, sogar gegen Tatellah-Satah, wenigstens einstweilen?“
„Ich will!“ versicherte er, mich erwartungsvoll anschauend.
„Gut! Sehen wir uns erst um! Steigen wir hinauf, auf das ‚Ohr des Teufels‘, um seine Verhältnisse kennen zu lernen!“
Wir stiegen hinauf. Als wir oben waren, befand ich mich fast ganz genau in derselben Lage und in denselben Verhältnissen, wie auf der ersten Devils pulpit, wo der ‚Junge Adler‘ den Bär erlegte und ich mich dann mit dem Herzle von Kanzel zu Kanzel unterhielt. Es gab auch hier zwei Kanzeln, genau wie dort. Und drüben über der Straße gab es wieder zwei, die in ganz derselben Ausmessung zueinander standen. Für einen oberflächlichen Denker schien es hier also nicht nur eine, sondern zwei Ellipsen zu geben, in deren Brennpunkten man das leise Gesprochene laut hören konnte, nämlich die eine diesseits und die andere jenseits des Fahrweges. Der schärfer Denkende aber mußte gleich bei dem ersten Blick sehen, daß es weder hüben noch drüben eine besondere, wirkliche Ellipse gab, sondern daß diese Figur erst dann zustande kam, wenn man beide Abteilungen durch Verbindungslinien über den Fahrweg herüber vereinigte. Dann gab es allerdings eine große Doppelellipse mit vier Brennpunkten, hüben zwei und drüben zwei, bei deren richtiger Benutzung sich verschiedene Schallexperimente ermöglichten, die dem nicht Eingeweihten als Wunder erscheinen mußten.
Das sah man, wie gesagt, schon bei dem ersten Blicke, doch wurde dieser Blick schnell wieder von seinem Gegenstand abgezogen, und zwar durch eine höchst augenfällige Veränderung, die sich seit unserm letzten Hiersein in der umgebenden Szenerie vollzogen hatte. Nämlich die angefangene Winnetoustatue war inzwischen gewachsen, und zwar in einer Weise, die mir nur dann begreiflich wurde, wenn ich sah, wie groß heut die Zahl der Lastgeschirre war, auf denen die fix und fertig zubereiteten Quader von den Steinbrüchen herbeigeschleppt wurden, und wie groß die Zahl der Arbeiter, welche damit beschäftigt waren, diese Quader zur Figur zusammenzusetzen und mit schon vorgebohrten eisernen Spindeln, Klammern und Bolzen zu befestigten. Die Figur war bereits bis zum Unterleib gediehen; der künstliche Felsen, an den sie sich anzulehnen hatte, war im Entstehen, und die Gerüste, auf denen die Monteure zu arbeiten hatten, waren zwar erst heut entstanden, ließen aber Dimensionen vermuten, die in das Riesenhafte gingen. Als Intschu-inta sah, daß ich meine Aufmerksamkeit jetzt darauf richtete, sagte er:
„Sie arbeiten wie im Fieber. Sie sind ihrer Sache nicht mehr sicher. Sie sehen jetzt täglich mehr und mehr, daß nicht alle Welt ihrer Meinung ist. Darum soll diese Figur schleunigst fertiggestellt werden, um auf die Tausende von Festgenossen, welche man erwartet, den Eindruck zu machen, den man sich von ihr verspricht. Als ich vorhin die Fackeln holte, erfuhr ich, daß man entschlossen ist, jetzt Tag und Nacht an der Figur zu arbeiten, weil man gehört hat, daß auch du dagegen bist. Man hatte geglaubt, dich leicht auf die Seite schieben zu können."
„Ah! Besonders wohl Mr. Okih-tschintscha, genannt Antonius Paper? Laß ihn schieben, laß ihn schieben! Wir aber wollen zu unsern jetzigen Pflichten zurückkehren. Es war doch unsere Absicht, zu versuchen, ob du es nicht vielleicht bist, der imstande ist, das Geheimnis eurer Devils pulpit zu entdecken. Wir haben hier zwei Kanzeln. Drüben sind auch zwei. Wir befinden uns hier auf der ersten; da bleibe ich jetzt; du aber gehst hinüber, auch auf die erste. Da stellst du dich hin und nennst in ganz gewöhnlichem Tone zehn Zahlen. Ich kann das hier hüben nicht hören, werde dir aber so dieselben Zahlen sagen."
„Mir sagen?“ fragte er. „Höre ich es denn?“
„Ja.“
„Unmöglich!“
„Warte es ab! jetzt geh! Aber tue geheim! Sag' niemand, wohin du gehst und was du dort willst!“
Er machte ein sehr ungläubiges Gesicht und entfernte sich. Ich schaute ihm nach, ohne mich aber von den Arbeitern und Fuhrleuten, welche auf dem Fahrweg verkehrten, sehen zu lassen. Sie beachteten ihn nicht. Er ging über den Weg hinüber und stieg auf die erste Kanzel. Man kann sich wohl denken, wie gespannt ich darauf war, ob das Experiment gelingen werde. Ich lauschte. Da, Gott sei Dank, da kamen sie, die zehn Zahlen, nämlich alle geraden der Reihe
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