Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
gelegt. Ihr sehr gealtertes Gesicht bestand aus lauter kleinen, winzigen, eng aneinanderliegenden Fältchen. Und doch war es schön, dieses Gesicht. Es besaß jene von innen heraussprechende Schönheit, welche man als Altersschönheit bezeichnet. Sie pflegt das Produkt vielen Leidens und Denkens zu sein. Ganz selbstverständlich war Kolma Putschi nicht mehr männlich, sondern weiblich gekleidet. Sie blieb vor mir stehen, schaute mich lange, lange prüfend an und sagte dann, indem ihr ernstes Gesicht zu lächeln begann:
    „Ja, das ist er! Noch ganz wie früher! Trotz der vielen, vielen Jahre, welche vergangen sind, seit wir uns nicht mehr sahen! Darf ich Old Shatterhand begrüßen?“
    Sie fragte das, ohne mir die Hand entgegenzustrecken. Ich antwortete:
    „Was gäbe es für einen Grund, dies nicht zu dürfen?“
    „Die Feindschaft!“
    „Welche Feindschaft? Ich kenne keine.“
    „Auch ich kannte sie nicht; nun aber habe ich sie kennengelernt. Old Shatterhand ist in Beziehung auf das Denkmal unser Gegner!“
    „Vielleicht Gegner, keineswegs aber Feind. Ich habe Kolma Putschi geachtet, geliebt und bewundert, so lange ich sie kenne, und werde ihr diese Freundschaft bewahren, so lange ich lebe. Ich bitte um ihre Hand, die so kühn und tapfer sein konnte und doch so mild und so edel zu gleicher Zeit.“
    Da wurde ihr Gesicht wie heller, warmer Sonnenschein, der aus jedem Fältchen zu mir aufstrahlte. Wir reichten uns die Hände. Ich zog sie fest an mich heran und küßte sie auf die lieben, guten, einst so tieftraurigen Augen. Dann nahmen wir beieinander Platz, um das durch mein Kommen unterbrochene Gespräch fortzusetzen. Da sah und hörte ich denn, daß Kolma Putschi im Verlauf der letzten Jahrzehnte viel, sehr viel gelernt hatte. Sie war mit Young Surehand und Young Apanatschka, ihren Enkeln, geistig emporgewachsen, aber leider nicht über die Anschauungen und Ansichten dieser Enkel hinaus. Sie schwärmte für die geplante, rein äußerliche Winnetou-Apotheose, und sie war überzeugt gewesen, daß ich und das Herzle ganz ebenso schwärmen würden. Als Meinungsverschiedenheiten und Spaltungen entstanden, hatte sie geglaubt, daß es nur unseres Kommens bedürfe, um diese Konflikte zu lösen. Sie war in den letzten Tagen nicht hier gewesen und erst mit Old Surehand und Apanatschka zurückgekehrt. Da hatte sie dann alles erfahren, daß wir angekommen seien, daß man uns abstoßend und geringschätzig behandelt habe und daß uns aber von Tatellah-Satah die große Genugtuung bereitet worden sei, von ihm persönlich nach dem Schloß abgeholt zu werden, um dort als seine besonderen Gäste in seiner Nähe zu wohnen. Das hatte die Spaltung zwischen Oberstadt und Unterstadt erweitert. Man befürchtete in der Unterstadt, daß nun grad Old Shatterhand, den man hatte auf die Seite schieben wollen, sich in der Denkmalsfrage das entscheidende Wort anmaßen werde, und das hatte Old Surehand und Apanatschka veranlaßt, zu erklären, daß sie fest entschlossen seien, mich in meiner Wohnung bei Tatellah-Satah nicht aufzusuchen. Kolma Putschi aber hatte es nicht über das Herz gebracht, in derselben Weise schroff zu sein. Sie hatte sich bei dem ‚Bewahrer der großen Medizin‘ anmelden lassen, um ihn um die Erlaubnis zu bitten, uns bei ihm besuchen zu dürfen, und er hatte sehr gern eingewilligt. Nun hatten die beiden Frauen während meiner Abwesenheit schon stundenlang beisammen gesessen und inniges Wohlgefallen aneinander gefunden. Das war zwar nur eine kurze Zeit, aber dem Herzle schien es trotzdem schon gelungen zu sein, ihrer Gästin das zu geben, was diese von ihr erwartete. Der Brief, den Kolma Putschi zu uns hinübergeschrieben hatte, schloß bekanntlich mit den Worten: „So komm also, und bring mir Deine Menschliebe, Deine Herzensgüte und – – – Deinen Glauben an den großen, gerechten Manitou, den ich gern ebenso deutlich fühlen möchte, wie Du, meine Schwester, ihn fühlst.“ Diese Liebe, diese Güte und dieser Glaube, sie waren jetzt da. Was ich als Mann in scharfem Ton hätte sagen müssen, das hatte das Herzle in freundlicher Eindringlichkeit gesagt. Als ich jetzt kam, war Kolma Putschi schon mehr als halb zu unserer Ansicht herüberbekehrt , und es bedurfte nur noch weniger Worte, um ihr meine Ansichten und Entschlüsse zu präzisieren. Als sie mich bat, doch nach der Unterstadt zu kommen und Old Surehand und Apanatschka aufzusuchen, antwortete ich:
    „Das darf ich nicht. Ich bin Gast Tatellah-Satahs,

Weitere Kostenlose Bücher