04 - Winnetou IV
tat dies. Erst als er sie in der Hand hatte, öffnete er die Augen wieder und sprach:
„Ich gehe; ich nehme sie mit, alle drei. Sie halten mich und meine Gedanken fest. Ich bin ihr Gefangener. Nun fehlt mir für heut' die Zeit, dir die Bibliothek zu zeigen. Ich werde es morgen tun oder später. Also, sprich mit Intschu-inta über alles, was du zum Mittagessen brauchst! Ich gehe.“
Es war ein eigentümliches Gefühl, welches er uns zurückließ. Unsere Photographien hatten gar nicht den Zweck gehabt, mit nach dem Mount Winnetou genommen zu werden, und nun schienen sie uns hier von Wichtigkeit zu sein. Für das Herzle aber gab es zunächst noch viel größere Wichtigkeiten, und es versteht sich ganz von selbst, daß sich diese alle auf das morgige Mittagessen bezogen. Die Einladung war von mir ausgegangen; darum fühlte sie sich als Wirtin. Sie war der Ansicht, daß sie mit Intschu-inta den Speisezettel zu besprechen habe. Sie ließ also den riesigen Diener kommen. Das machte mir Spaß. Als er sich einstellte, gab er uns vor allen Dingen die Versicherung, daß von allem, was wir brauchten, Fleisch, Mehl und anderes, mehr als genug vorhanden sei. Das klang so tröstlich, daß das Herzle Mut bekam. Sie stellte ein Menü auf. Eine Suppe mit Schaumklößchen, Huhn, Fisch, Braten, Kochfleisch, Salat, süße Speise, Käse usw. Vor allen Dingen lag ihr sehr viel an einem Ragout von Wildbret und einem Flammeri von Gries mit Beerensauce. Intschu-inta hörte andächtig zu und nickte zu allem. Er hatte alles; er wußte alles; er kannte alles; und er versprach alles. In Wahrheit aber wurde sein Gesicht immer länger und länger. Als sie die verschiedenen Gewürze erwähnte und dabei nach einer Pfeffermühle fragte, versicherte er, daß mehr als zwanzig Stück vorhanden seien. Da strahlte sie vor Vergnügen.
„Hörst du, es ist alles, alles da!“ jubelte sie. „Das wird ein Essen, mit dem ich Ehre einlege!“
„Liebes Herzle, willst du dir diese schönen Sachen nicht vielleicht erst einmal zeigen lassen?“ fragte ich.
„Ja, das werde ich!“ antwortete sie. „Aber du darfst nicht dabei sein!“
„Warum nicht?“
„Ich brauche dich nicht! Topfgucker verderben den Brei!“
„So gehe hin und koche! Meine Wünsche begleiten dich bis in die Küche!“
„Ich danke dir! Leb' wohl! Ich komme bald wieder.“
Sie entfernte sich froh-elastischen Schrittes. Intschu-inta folgte ihr. Aber ehe er ganz hinaus war, drehte er sich noch einmal um und warf mir einen derart hilflosen und verlegenen Blick zu, daß ich mir Mühe geben mußte, nicht laut aufzulachen. Nach einer Stunde brachte man mir das Abendbrot. Das Herzle ließ mir sagen, ich solle allein essen; sie käme noch nicht. Nach wieder einer Stunde schickte sie Intschu-inta und gab mir durch ihn die Nachricht, daß sie noch zwei Stunden braucht, um fertig zu werden. Ich wollte ihn fragen, um Näheres zu erfahren; aber er verschwand so schnell, daß ich gar nicht zu Wort kam. Ich las in Winnetous Manuskripten. Als die zwei Stunden vorüber waren, erklang hinter mir von der Tür her die Stimme meiner Frau:
„Geh' immer schlafen, wenn du müde bist! Ich habe noch längere Zeit zu tun!“
Ich drehte mich schnell nach ihr um, sah aber nur noch den Vorhang wackeln; sie selbst war schon wieder fort. Ich wartete noch eine Stunde; dann ging ich nach Winnetous Schlafzimmer und legte mich nieder. Wie lange ich geschlafen hatte, das weiß ich nicht. Da wachte ich auf. Ich fühlte ihre frische, gesunde Körperatmosphäre. Sie war da. Sie stand unter der Tür, die von meinem Zimmer nach der Wohnung von Winnetous Schwester führte, die jetzt die ihrige war. Ich räusperte mich. Da fragte sie:
„Bist du wach?“
„Ja; soeben erst aufgewacht“, antwortete ich. „Wieviel Uhr ist es?“
„Gleich drei Uhr.“
„Und so lange warst du in der Küche?“
„Ja; aber das ist gar keine Küche, sondern etwas ganz anderes, was ich dir am Tag zeigen muß. Es ist hier alles kolossal –.“
„Wie steht es mit der Schaumklößchensuppe ?“
„Die gibt es natürlich nicht.“
„Mit dem Wildbretragout ?“
„Auch nicht.“
„Mit dem Griesflammeri in Beerensauce?“
„Höre, ich glaube gar, du willst mich hänseln!“
„Und mit den zwanzig Peppermills ?“
„Bitte, sei still! Du bis ein höhnischer Charakter! Ein abstoßender, unsympathischer Mensch, vor dem man sich in acht zu nehmen hat! Ist das der Lohn dafür, daß ich mich so redlich plage, um deinem Mittagessen Ehre
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