04 - Winnetou IV
spiele ich mit!“
„Schön! Ich glaube, der zweite Akt der Posse beginnt. Der Vorhang hebt sich bereits.“
Howe kam nämlich wieder zu uns herüber, stellte sich mit weit ausgespreizten Beinen vor uns hin und sprach:
„Ich komme mit einer Bitte. Wir sind nämlich Maler. Wir wünschen Mrs. und Mr. Burton abzukonterfeien, auch Mr. Pappermann mit.“
„Also ihr alle sechs?“ fragte ich.
„Ja.“
„Uns alle drei?“
„Ja. Werdet Ihr uns das erlauben?“
„Sehr gern, sehr gern. Ich mache nur eine einzige Bedingung.“
„Welche?“
„Daß wir genauso bleiben können, wie wir jetzt sitzen.“
„Well! Wollten euch zwar gern in anderer Stellung haben, in ganz anderer, geben uns aber auch hiermit zufrieden. Aber sitzt so, daß ihr euch so wenig wie möglich bewegt, sonst wird nichts wahrhaft Künstlerisches fertig! Es kann beginnen!“
Sie zogen Papier und Bleistift aus den Taschen und fingen an, zu zeichnen. Da sahen wir jemand von weit draußen her nach dem Einödplatz kommen. Er war indianisch gekleidet und trug auf dem Rücken eine in Leder gebundene Last, die nicht leicht zu sein schien. Er ging gebückt und langsamen Schrittes. Er war außerordentlich ermüdet. Bei den Pferden blieb er stehen und betrachtete sie. Dann ging er weiter. Als er so nahe gekommen war, daß sein Gesicht uns deutlich wurde, sahen wir, daß er vielleicht zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählte. Seine Züge waren sehr sympathisch. Er hatte sein Haar, ganz wie einst Winnetou, in einem Schopf gebunden und ließ es dann weit über den Rücken herunterhängen. Er schien die Örtlichkeit zu kennen, denn er kam gerade und genau auf die Tür zu, die von draußen herein in den ‚Garten‘ führte.
„ Egad , er ist's!“ sagte Pappermann.
„Kennt Ihr ihn?“ fragte ich.
„Ja. Es ist der ‚Junge Adler‘. Er kam vor nun vier Jahren vom Gebirge herab, nicht zu Pferd, sondern zu Fuß, genau wie heute. Er blieb zwei Tage bei mir, um sich auszuruhen. Er hatte außer dem Anzug, den er trug, noch einen neuen, besseren mit. Den gab er mir, als er ging, in Aufbewahrung. Er sagte, wenn er nicht sterbe, werde er in einigen Jahren wiederkommen, um ihn abzuholen. Er hatte kein Geld bei sich, sondern Nuggets, aber nicht viel; es war kaum für drei- bis vierhundert Dollar. O weh, sieht er matt und angegriffen aus!“
„Er hat Hunger!“ fügte ich hinzu.
„Glaubt Ihr?“
„Ich glaube es nicht nur, sondern es ist wirklich so. Ich sehe es ihm an.“
„Auch ich fühle es!“ sagte das Herzle. „Er ist ganz erschöpft! Er wankt! Er soll mit uns essen! Ich sage es ihm. Holt schnell noch einen Stuhl heraus, Mr. Pappermann!“
Der Genannte eilte fort, um diesen Wunsch zu erfüllen. Das Herzle stand auf, ging zur Tür, auf welche der junge Indsman zugeschritten kam, öffnete sie, empfing ihn dort, nahm ihn bei der Hand, führte ihn nach unserem Tisch und bat ihn, unser Gast zu sein. Und da brachte Pappermann auch schon den Stuhl. So ermüdet der Indianer war, er setzte sich nicht sofort, sondern er blieb noch stehen, seine großen, dunklen Augen auf das Gesicht derjenigen richtend, die sich in so unherkömmlicher Weise seiner bemächtigt hatte.
„Ganz wie Nscho-tschi, die stets Erbarmen war!“ sagte er; dann sank er auf den Sitz und schloß die Augen.
Er war so ermüdet, daß er gar nicht daran gedacht hatte, die Last, die er trug, erst abzulegen. Wir nahmen sie ihm vom Rücken, indem wir die Riemen lösten. Es war ein langer, schwerer, in festes Leder gebundener Pack, dessen Gewicht wohl zwischen dreißig und vierzig Kilo betrug. Das mußte Eisen sein! Wir legten diese Last neben dem Stuhl zur Erde nieder. Pappermann ging nach der Tafel hinüber und bat um ein Glas Brandy.
„Für wen?“ wurde er gefragt.
„Für den Indianer dort, wie ihr seht!“ antwortete er.
„Der Brandy ist nicht für Rote, sondern für Weiße, nicht für ihn, sondern für uns! Macht Euch fort von hier!“
Der alte Westmann war wütend über diese Zurückweisung; ich beruhigte ihn mit der Versicherung:
„Ärgert Euch nicht! Sie werden es uns bezahlen! Lauft in die Küche und holt einen Teller Suppe, mögt Ihr sie hernehmen, woher Ihr wollt! Das ist besser, als all Euer Brandy!“
Er gehorchte dieser Weisung. Der Indianer hatte meine Worte gehört. Er hielt zwar die Augen noch geschlossen, aber er sagte leise:
„Nicht Brandy! Niemals Brandy!“
Er hatte den Namen Nscho-tschi genannt, der Schwester meines Winnetou. War er vielleicht ein Apatsche?
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