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die ganze Zeit über. Ich roch keinen Alkohol, aber man würde sie in der Klinik trotzdem darauf und auf Drogen testen.
Ich blätterte schnell ihre Brieftasche durch. Ja, Karen Larson. Der Fahrzeugschein im Handschuhfach bewies, dass der Wagen ihr gehörte. Es lief alles wie am Schnürchen, genau wie ich es mochte.
Dann endlich traf Brad ein. Der junge, ehrgeizige Officer war einer der Sommer-Cops, was bedeutete, dass er nicht von hier stammte. Keine Ahnung, was er während der übrigen neun Monate tat. Seinem Aussehen nach stemmte er Gewichte und holte sich seine Bräune unter einer künstlichen Sonne. Meine bisherigen Erfahrungen mit Brad hatten mich zu der Uberzeu-gung gebracht, dass er sich zusammen mit seiner Haut auch 129
das Hirn verschmort hatte. Aber er war zumindest kompetent genug, um Miss Larson in die Klinik zu bringen.
Ich traf ihn auf halbem Weg zwischen seinem Wagen und ihrem. »Wir haben einen Wolfsbiss.« Ich hatte keine Zeit für überflüssiges Geplauder. Nicht dass ich daran interessiert gewesen wäre, wenn ich sie gehabt hätte. »Fahr sie zur Klinik. Ich werde versuchen, den Wolf zu finden.«
Er lachte. »Klar doch, Jessie. Bestimmt wirst du mitten in der Nacht in diesen Wäldern einen Wolf aufspüren. Und dann wird es auch noch genau der sein, nach dem du suchst.«
Das ist der Grund, warum Brad ein Sommer-Cop war und ich ein Ganzjahres-Cop. Ich besaß ein Gehirn und hatte keine Angst, es zu benutzen.
»Halt mich ruhig für dumm.« Ich deutete auf das Blut, das Plastik und das Fiberglas auf dem Asphalt. »Aber das da hat Spuren hinterlassen. Falls ich einen Wolf mit einer kotflügelgroßen Beule finde, werde ich ihn einfach festnehmen. Wer weiß, vielleicht ersparen wir unserem Opfer damit die Tollwutspritzen.«
Brad blinzelte. »Oh.«
»>Oh< ist richtig. Kannst du Zelda anrufen, ihr sagen, was passiert ist? Und sie soll das Department of Natural Resources informieren.«
»Warum?«
Ich widerstand dem Drang, ihm eine überzubraten. Vielleicht könnte ich damit seinen Verstand wachrütteln, aber ich bezweifelte es. »Wenn es um Wölfe geht, ist es eine Standardmaßnahme, die Jagd- und Fischereibehörde hinzuzuziehen.«
»Sind wir dazu verpflichtet?« Obwohl ich seine Gefühle teilte - niemand hier in der Gegend hatte viel für das Department of National Resources übrig -, gab es nun mal Vorschriften.
Wölfe hatten in Wisconsin bis 1999 als vom Aussterben be 130
drohte Spezies gegolten, bevor die Klassifizierung in >gefähr-det< geändert worden war. In jüngster Zeit hatten sie sich so zahlreich vermehrt, dass man sie ganz von der Liste gestrichen hatte. Was bedeutete, dass Probleme wie Tollwut unter bestimmten Bedingungen von bestimmten Personen ausgeräumt werden konnten. Falls ich heute Nacht einen Wolf erschießen musste, wollte ich mich schon im Vorfeld abgesichert haben.
»Ja«, herrschte ich ihn an. »Das sind wir. Sorg dafür, dass Zelda jemanden herschickt, der diesen Tatort sichert und ausmisst.« Ich tätschelte das Walkie-Talkie an meinem Gürtel. »Ich melde mich.«
»Aber .. äh, ich habe gedacht. . Vielleicht, hm, sollte ich, du weißt schon . .«
Sein unsicherer Blick zuckte zu den Bäumen, dann zurück zu mir.
»Ich weiß. Und du solltest nicht.«
Schalt endlich dein Gehirn ein, spottete ich in Gedanken, aber ich hatte in meinen sechsundzwanzig Jahren ein paar Dinge gelernt, und eins davon war, meine Klugscheißersprüche für mich zu behalten. Meistens jedenfalls.
»Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht, Brad. Ich bin die beste Jägerin der Truppe.«
Ein Umstand, der mich bei den Männern, mit denen ich zusammenarbeitete, nicht gerade beliebt machte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal nicht den Hauptgewinn bei den Wettkämpfen abgeräumt hatte, die die Gasthäuser jeden Herbst veranstalteten. Trotzdem schien es Brad gar nicht zu gefallen, mich allein in die Dunkelheit marschieren zu lassen.
»Entspann dich«, beruhigte ich ihn. »Ich kenne diese Wälder. Du nicht.«
Ohne auf eine Erwiderung zu warten, nahm ich die Fährte des Wolfs auf.
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