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langen butterblumenfarbenen Haar, ihren großen blauen Augen und ihrem roten Marinemantel. Manchmal treiben es die Kinder eines Pfarrers auf einmal ganz wild, wenn sie endlich bei ihren Eltern ausziehen. Laura war die Tochter des Teufels (doch, tatsächlich!), also rebellierte sie, indem sie sich so nett und zuckersüß wie nur möglich gab. Ein heimtückischer Plan. „Mal was anderes.
Die meisten Leute, die ich kenne, hätten sich für einen Bibelvers entschieden, aber deine Mutter musste das sicherlich nicht."
„So, wie die Dinge sich entwickelt haben", antwortete Jessica und fuhr sich mit der Hand über die straff zurückgekämmten schwarzen Haare, „ist es fast ein bisschen prophetisch, findet ihr nicht?" Wie üblich hatte sie das Haar so festgesteckt, dass ihre Augenbrauen sich in einem Ausdruck ständigen Erstau-nens wölbten. Wenn man bedachte, wo wir uns befanden, war sie dieses Mal vielleicht aber auch tatsächlich erstaunt.
„Ich finde, der letzte Ort, an dem ich an einem 17. Dezember sein möchte, ist hier, vor meinem eigenen Grab. Meine Meinung." Denn das war nicht nur deprimierend, sondern auch gruselig. Vielleicht lag es an den Feiertagen?
Jessica seufzte erneut und legte ihre Stirn auf meine Schulter. „Arme Betsy.
Ich komme einfach nicht drüber hinweg. Du warst noch so jung!"
Laura grinste ein bisschen. „Als wenn der dreißigste Geburtstag nicht schon traumatisch genug gewesen wäre. Arme Betsy."
„So jung!"
„Reißt euch bitte zusammen. Ich stehe genau neben euch." Ich stopfte meine Hände in die Manteltaschen und schmollte. „Wie kalt ist es eigentlich? Doch mindestens minus zwanzig Grad? Ich friere."
„Du frierst immer. Beschwer dich nicht, wenn du ohne Handschuhe rausgehst. Und es sind zwei Grad, du großes Baby."
„Möchtest du meinen Mantel haben?", bot Laura an. „Ich fühle die Kälte kaum."
„Wieder eine deiner dunklen Kräfte", sagte Jessica. „Wir setzen sie auf die Liste, zusammen mit den Waffen aus Höllenfeuer und der Fähigkeit, immer und überall ein Trinkgeld von zweiundzwanzig Prozent berechnen zu können. Also, Bets, erklär's mir noch mal. . wie kommt dein Grabstein hier hin?"
Ich erklärte es ihr .. hoffentlich zum letzten Mal. Im Frühjahr war ich gestorben. So weit, so gut. Aber an dem Tag, an
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dem eigentlich meine Beerdigung stattfinden sollte, war ich in der Dämmerung wieder auferstanden, um mir ein bisschen die (untoten) Füße zu vertreten. Als dann mein Körper „im Kampf vermisst" wurde, hatte man die Beerdigung abgesagt.
Aber meine Mutter hatte sich fürchterlich mit meinem Vater und meiner Stiefmutter darüber gestritten, wie viel mein Grabstein kosten durfte, und es daher eilig gehabt, das Ding zu bestellen. Als es dann endlich fertig war, gab es keine Beisetzung, keine Messe und kein Grab. (Meine Familie kannte die Wahrheit über mich, ebenso wie Jessica. Meinen Kollegen und Freunden hatte man gesagt, die Beerdigung sei nur ein Scherz gewesen, wenn auch ein sehr schlechter.)
Also hatte mein Grabstein die letzten sechs Monate auf Lager gelegen. (Meine Stiefmutter hatte auf schlichtem, billigem Granit bestanden, mit nichts als meinen Initialen und den Daten meiner Geburt und meines Todes. Wer den Pfennig nicht ehrt, ist anscheinend des Talers nicht wert. Mein Vater hielt sich raus aus der Debatte, wie er es immer tat, wenn es um meine Mutter und Antonia ging.)
Nach einigen Monaten hatte das Beerdigungsinstitut höflich bei meiner Mutter angefragt, was sie mit dem Grabstein zu tun gedenke. Da Mom schon für die Parzelle und den Stein bezahlt hatte, ließ sie ihn einfach vorgestern dort aufstellen und erwähnte es gestern so ganz nebenbei beim Mittagessen, so als täte sie so etwas jeden Tag: „Ober, ich nehme die Tomatensuppe mit Parmesancroutons. Ach, übrigens, mein Schatz, gestern habe ich deinen Grabstein auf dem Friedhof aufstellen lassen."
Jessica und Laura starben beinahe vor Neugierde und wollten ihn unbedingt sehen. Und da ich eine Auszeit von den Hochzeitsvorbereitungen und den Weihnachtskarten brauchte, war ich mitgekommen.
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„Deine Mutter", stellte Jessica fest, „ist Furcht einflößend effizient."
Lauras Miene hellte sich auf. „Oh, Dr. Taylor ist wirklich nett."
„Und immer wenn ich denke, deine Stiefmutter hat bereits ihren absoluten Tiefpunkt erreicht . . 'tschuldigung, Laura." Ant war technisch gesehen Lauras leibliche Mutter. Klingt komisch? Ist aber so.
„Ich bin nicht beleidigt", antwortete sie
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