0400 - Jenseits-Melodie
Der bis auf den Flügel leere Saal war allein von diesen weichen, herrlichen Klängen erfüllt, doch der an der Tür stehende Mann zeigte sich wenig beeindruckt, denn er hatte einen Auftrag zu erfüllen.
Er ließ den anderen spielen. Erst als es ihm geboten erschien, setzte er sich in Bewegung. Einige Blutstropfen rannen von der Klinge, benetzten den blanken Parkettboden und zeichneten so seine Spur nach.
Der Komponist hörte den Fremden nicht, denn er konzentrierte sich allein auf seine Musik, die ihm alles andere ersetzte.
Essen, Trinken und auch Liebe…
Und so spielte er weiter, eingehüllt in seine Träume und die neue Komposition. Und er ahnte nicht, daß sich ihm der Tod näherte.
Es hatte so ausgesehen, als wollte der Mann mit dem Schwert direkt auf den Klavierspieler zugehen. Das allerdings täuschte. Bevor er ihn erreichte, blieb er im Halbdunkel stehen und schaute auf die angestrahlte Tastatur.
Er wartete.
Der Komponist nahm ihn nicht wahr oder wollte ihn nicht wahrnehmen, denn für ihn zählte allein das Spiel. Bis zu dem Augenblick, als der Fremde die Klappe zuschlug. Dabei interessierte es ihn nicht, daß die Finger des Spielers zwischen Tastatur und Klappe eingeklemmt wurden.
Abrupt endete das Spiel.
Ein kurzer Schrei drang aus dem Mund des Spielers, und er erstarrte für einen Augenblick auf seinem Drehhocker. Unter entsetzlichen Schmerzen zerrte er seine Hände wieder hervor und starrte auf die zitternden Finger, die langsam anschwollen. Der Pianist wußte, daß er einen Fehler begangen hatte und daß man die Drohung bald wahrmachen würde. Ein nervöses Zucken umspielte seine Lippen. Er drehte sich nach rechts um und sah den Henker neben dem Flügel stehen.
»Du bist gekommen?«
»Ja, Manfredo Cardinal, ich bin gekommen, denn du hast das Verbot der Kaiserin mißachtet, obwohl man dich gewarnt hatte, je wieder auf dem Flügel zu spielen.«
Cardinal nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Ich weiß es, aber ich konnte nicht gehorchen.« Sein Blick zeigte plötzlich Unglauben. »Ist es denn nicht etwas Wunderbares, wenn jemand die Gabe besitzt, musizieren zu können?«
»Ja, das ist es.«
»Was willst du dann hier?«
»Der Kaiserin gefällt deine Musik nicht. Sie ist nicht ihr Geschmack. Sie hat dich oft genug gewarnt. Vielleicht hättest du dich in einen Wald setzen sollen. Dort hätte dein Spiel niemand gestört. Aber nicht im Schloß der Kaiserin. Schönbrunn ist für dich tabu gewesen. Du hast dieses Verbot gebrochen, deshalb wirst du auch deine Strafe hinnehmen müssen. Erhebe dich, Manfredo Cardinal.«
Über das alterslos erscheinende Gesicht des Henkers glitt ein kaltes Lächeln, als er sich dem Spieler näherte, der noch immer so dasaß, als wollte er im nächsten Moment weiter spielen. Natürlich hatte er das Richtschwert bemerkt, aber er kümmerte sich nicht darum. Seine Augen zeigten einen entrückten Ausdruck. Er schaute in Welten hinein, die nur er sah.
»Ich werde spielen!« flüsterte er. »Ich werde immer spielen. Meine Musik ist die Unsterblichkeit.«
»Nein!« erklärte der Henker. »Du wirst nie mehr spielen. Ich weiß, daß man dich einen Musik-Magier nennt. Vielleicht stehst du auch mit dem Leibhaftigen im Bunde, aber eines laß dir gesagt sein, Manfredo Cardinal. Wenn die Kaiserin mich beauftragt, jemanden hinzurichten, dann führe ich es auch aus. Für dich habe ich mir etwas Besonderes einfallen lassen.«
»Ja?« hauchte Cardinal. »Was…?«
Bevor der Henker die Antwort gab, leckte er über seine Lippen.
»Ich werde dir den Kopf und deine rechte Hand abschlagen. Hast du verstanden?«
Für einen winzigen Moment weiteten sich die Pupillen des Pianisten. Dann hob er die Schultern.
»Du sagst nichts dazu?« wunderte sich der Henker.
»Nein, weshalb auch? Könnte ich dich von deiner ruchlosen Tat abhalten? Ich glaube kaum.«
»Aber andere haben gebettelt, gefleht, sie krochen auf Knien vor mir und küßten mir die Füße.«
»Ich nicht.« Manfredo Cardinal lächelte sogar. »Du bist für mich ein Wicht und kein Mensch! Nur ein ausführendes Organ. Ich verachte dich aus dem Grunde meines Herzens. Ich verachte jeden Mörder, besonders meinen eigenen.«
Trotz seiner Waffe spürte der Henker, daß er diesem Mann unterlegen war.
Nicht körperlich, sondern geistig. Der würde noch lächelnd in den Tod gehen. So etwas hatte der Henker nie erlebt. In seiner Wut hob er die Waffe an, und abermals rann ein Tropfen von der Klinge.
Er klatschte auf den
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