0400 - Jenseits-Melodie
erkundigte ich mich bei Freddy.
»Nein, der kommt vom Festland. Ist ein Österreicher. Wiener…«
»Woher wissen Sie das?«
»Steht hinten auf der Hülle?«
»Kann ich die Platte haben?« fragte ich.
»Wie?« Er schüttelte den Kopf, weil er nicht begriff.
»Ich kaufe sie Ihnen ab.«
Freddy wollte uns wohl schnell loswerden. Jedenfalls hatte er keine Einwände mehr. »Wenn Sie unbedingt wollen, ich bin dabei.«
Er nannte mir den Preis, und ich zahlte.
»Brauchen Sie auch eine Quittung, Mister?«
»Das ist nicht nötig.«
Wir bedankten uns und gingen zurück zum Tisch. Die Scheibe trug ich unter dem Arm.
Der Kerl im weißen Anzug drehte sich provozierend langsam zu uns um. Bill ließ er vorbei, mich nicht. Er hatte viel getrunken, sein Gesicht war gerötet, auf seiner Stirn lagen Schweißperlen. »Habt ihr Bullen eigentlich nie Feierabend?« raunzte er mich an.
Ich blieb freundlich, aber in der Sache hart. »Solange Menschen wie Sie herumlaufen, können wir uns einen Feierabend nicht leisten. Tut mir leid. Und viel Spaß noch.«
Ohne ihn noch einmal anzusehen, ging ich wieder zu meinem Platz und leerte das Glas.
Bill war neugierig. »Wie geht es jetzt weiter?«
»Nicht sehr gruselig.«
»Wieso?«
»Ich werde mich mit der Plattenfirma in Wien in Verbindung setzen, damit sie mir die Adresse dieses Hanco gibt. Möglicherweise weiß er mehr. Er muß die Melodie irgendwo gehört haben.«
»Alte Meister, John.«
»Auch die wollen gefunden werden. Vielleicht hat er tatsächlich einen Kontakt zu Aibon gehabt. Ich bin nicht so vermessen zu glauben, daß ich der einzige gewesen sein soll.«
Bill kippte sein Glas um, weil es leer war. »Das kann sich auch als völlig harmlos herausstellen.«
»Möglicherweise ist es das auch.«
»Was dann?«
»Dann bin ich auf jeden Fall beruhigter…«
***
Wien!
Eine Stadt – ein Name – ein Klang!
Liebhaber und Kenner der österreichischen Hauptstadt sangen den Namen regelrecht.
Strauß und Mozart waren die eine, die klassische Seite an der Millionenstadt.
Die andere gab es auch. Die Neue Wiener Musik. Künstler, die deutsch sangen und durch ihre Kunst zu Weltruhm gelangt waren.
Namen wie Heltau und Falco kannte jeder Musikfreund. Auch André Heller zählte dazu, und es tat einer immer etwas verstaubt wirkenden Stadt wie Wien gut, daß es solche Künstler waren, die in der Szene geboren wurden und wie Kometen am Musikhimmel ihre Bahnen zogen.
Dabei hatte die Szene Nachwuchs.
Manche behaupteten, daß alle jungen Künstler, die sich in Wien niederließen und sich von der Stadt inspirieren ließen, Talent besaßen. Ob Musiker, Maler oder Bildhauer, in der Donaumetropole fanden sie ihr Zuhause und fühlten sich auch geborgen. Auch brauchten sich die Sänger mit ihren Texten nicht zu verstecken, sie besaßen Inhalt, der oft genug von einem Hauch von Melancholie durchweht wurde, denn der Wiener liebte das Leben.
Ein echter Wiener ging eben nicht unter. Und wenn er nicht mehr war, kamen andere.
An den Tod dachten wohl nur die wenigsten an diesem lauen Oktoberabend.
Der Winter würde kommen, daran gab es nichts zu rütteln.
Einheimische wie Fremde hielt nichts mehr in den Häusern. Sie alle wollten dieses Wochenende genießen, das vielleicht das letzte schöne in diesem Jahr werden würde.
Und deshalb quoll Wien über.
Die Innenstadt war verstopft. Es gab keine Parkplätze mehr. Vor den Restaurants, den Cafés, den Bistros und Kneipen saß man noch im Freien und trank sein Bier oder seinen Wein. Auch Kaffee wurde viel konsumiert. Niemand sprach mehr vom Glykol-Skandal der letzten Monate. Man trank wieder österreichischen Wein, und in den gemütlichen Lokalen des Touristenvororts Grinzing schwitzte das Personal wie im Hochsommer. Es gab kaum noch einen freien Platz.
Wien lebte.
Und auch dort, wo sich die Insider trafen, die Musikmacher, die Künstler und Schriftsteller. Es waren nicht die Nobelschuppen oder altwienerischen Restaurant, sondern die einfachen Cafés, wo man auf knarrenden, alten Holzstühlen saß, diskutierte. Meinungen vertrat, andere gelten ließ oder nur die Ohren öffnete, um vielleicht neue Trends zu erfahren. In diesen Räumen strahlten keine Lüster, hier waren die Wände mit Holz getäfelt, das vom Rauch zahlreicher Zigarren und Zigaretten einen schwarzmatten Glanz bekommen hatte.
Wer keinen Platz fand, konnte sich auch auf den Boden setzen oder auf die Fensterbank, denn die Scheiben waren hochgeschoben worden. Manchmal ging jemand an
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