0403 - Das Auge des Jägers
Dryaden, die in Bäumen lebten und deren Seelen zum Baum gehörten. Wurde der Baum gefällt, starb die Dryade. Verdorrte ein Lebensbaum, so starb der Druide. Umgekehrt war es genauso. Wenn der Druide seinen letzten Weg ging, trocknete der Baum aus und verfiel. Vielleicht, überlegte Zamorra, resultierte daher die unglaubliche Lebensspanne der Silbermond-Druiden. Gryf zum Beispiel, der wie ein Zwanzigjähriger aussah, lebte schon seit mehr als achttausend Jahren. Bisher hatte sich niemand so richtig Gedanken über die relative Unsterblichkeit oder Langlebigkeit der Silbermond-Druiden gemacht. Aber es konnte mit den langlebigen Lebensbäumen zusammenhängen. In diesem Fall aber mussten sich die verbliebenen Druiden nach der Vernichtung der Wunderwelten irgendwie von ihren Bäumen abgekoppelt haben. Es war eines von vielen Rätseln, die möglicherweise niemals gelöst werden konnten.
Die Langlebigkeit oder Unsterblichkeit hatten Teri und Gryf jedenfalls bislang nicht verloren. Sie konnten nach wie vor in Merlins Burg den Saal des Wissens betreten, und dazu war diese Eigenschaft unumgänglich.
Teri deutete nacheinander auf die beiden Amulette. »Habt ihr eigentlich eines von ihnen wieder aktivieren können?«
Zamorra schüttelte den Kopf.
»Ich bin mit meinem Latein am Ende«, gestand er. »Ich habe alles versucht, was möglich ist, jeden nur erdenklichen Trick. Aber sie sind beide wie tot, wie erloschen. Es geht einfach nicht. Dabei ist das doch unmöglich.«
»Vielleicht liegt es an dem Zeitsprung zurück in die Vergangenheit. Wir wissen nicht, wie lange die MÄCHTIGEN hier schon laborieren und in welchem Zeitalter wir sind. Merlins Stern ist fast tausend Jahre alt. Vielleicht sind wir noch weiter in die Vergangenheit versetzt worden, bis vor die Entstehung des Amuletts…?«
»Nein. Ich bin schon oft in der Vergangenheit gewesen, noch viel, viel weiter zurück, und es hat immer funktioniert. Daran kann es nicht liegen.«
»Vielleicht liegt es am Silbermond, daß es nur hier nicht funktionieren kann. Merlin hat es geschaffen, und zwar auf der Erde. Auf anderen Welten…«
»Du weißt genau, daß es auch auf anderen Welten schon funktioniert hat. Raum und Zeit spielen keine Rolle«, beharrte Zamorra. »Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß der Silbermond bestimmte neutralisierende Eigenschaften hat. Denn die könnte ich mit dem Dhyarra-Kristall abschirmen. Der funktioniert nämlich einwandfrei.«
»Hm«, machte Teri nachdenklich. »Genauso rätselhaft wie Merlins Erinnerungsverlust.«
Es war der Moment, in dem der Ärger begann.
Mit einem lauten Schrei, den Gryf ausstieß, als er mitten zwischen ihnen auftauchte.
***
Kurz vorher hatte ein nichtmenschliches Wesen den Entschluß gefasst, daß die Fremden nun lange genug in Sicherheit gewiegt worden seien. Es war an der Zeit, zuzuschlagen. Sie fühlten sich jetzt sicher, glaubten nicht mehr an einen nennenswerten Widerstand. Um so leichter konnte man sie überrumpeln und ausschalten.
Der Unheimliche hielt sich gut versteckt. Nur wenige seiner Art befanden sich auf dem Silbermond, überall verteilt. Einige wussten nicht einmal, daß ihr Herr, der MÄCHTIGE, den Silbermond bereits verlassen hatte. Aber das hätte nichts geändert. Sie hatten ihre Anweisungen, denen sie zu folgen hatten, und eine der Anweisungen lautete, jeden Störfaktor zu beseitigen.
Störfaktor waren die Fremden aus der Zukunft, die Unruhe unter die Druiden brachten.
Keiner der Druiden hatte den Unheimlichen jemals zu Gesicht bekommen. Und wenn, hätte er auch nicht viel mehr gesehen als einen aufrecht gehenden, dreidimensionalen Schatten. Der Unheimliche war ein Meegh.
Und dieser Meegh gab jetzt den Befehl an die überall in der Stadt verteilten Roboter, die Fremden aufzuspüren und so unauffällig wie möglich verschwinden zu lassen. So gleichgültig, wie die weitaus meisten Druiden längst unter dem Einfluß des MÄCHTIGEN geworden waren, würde keiner von ihnen sich wundern, wo diese Fremden geblieben waren.
Nach den Toten fragte niemand.
Und die Roboter machten sich daran, den Befehl auszuführen.
***
Gryf war ein Jäger.
Er ging zwei Jagdleidenschaften nach – der Jagd auf hübsche Mädchen und auf Vampire. Letzteren allerdings pflegte er einen spitzen Eichenpflock durchs untote Herz zu treiben.
In der letzten Nacht hatte er wieder, wie er es augenzwinkernd nannte, Beute gemacht – aber seine Beute war alles andere als ein Vampir und darüberhinaus recht attraktiv. Am
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