0408 - Sie lockten mich mit Evelyn
Und ich wartete.
Ich rauchte noch drei Zigaretten und wartete noch immer. Es war fast eine geschlagene Stunde vergangen, seitdem ich das Haus von Evelyn Taylor verlassen hatte. Ich begann mich schon zu fragen, ob ich einen Fehler gemacht hatte. Erst nach 100 Minuten zeigte sich, dass ich doch richtig getippt hatte.
Zuerst hörte ich das Aufheulen eines starken Motors. Dann kam der kleine schnelle Wagen aus Evelyns Ausfahrt. In dem kurzen Moment, bevor sie auf die Straße einbog, sah ich ihr Gesicht. Sie saß hinter dem Steuer und war allein im Wagen.
Und ich wusste, dass sie jetzt zu Jack Spring fuhr.
Sobald der kleine Wagen aus der Ausfahrt herausgekommen war, hatte ich den Motor des Lasters gestartet. Ich war davon überzeugt, dass Evelyn Taylor nicht damit rechnete, verfolgt zu werden, besonders nicht von einem Sieben-Tonner.
Sie fuhr nicht schnell. Sie zu verfolgen, selbst mit einem Laster, war leicht. Ich blieb immer in unauffälliger Entfernung hinter dem weißen Wagen und folgte ihm nach Greenwich Village.
Evelyn stoppte ihren Wagen vor einem riesigen Apartment-Haus. Ich fuhr rechts ran und stoppte den Laster ebenfalls.
Sobald Evelyn Taylor in dem eleganten Bau verschwunden war, spurtete ich los und war eine knappe Minute nach ihr an der Pendeltür. Die Halle war leer. Der Fußboden war aus weißem Marmor und spiegelblank. Der Lift war in Betrieb und auf dem Weg nach oben. Ich beobachtete den Stockwerk-Anzeiger, bis die Signalleuchte auf dem vierzehnten Stockwerk stehen blieb.
In der Mitte der Halle war eine Marmorsäule, die den Umfang einer Langstreckenrakete vom Typ Honest John hatte. Auf der einen Seite entdeckte ich eine Messingtafel mit den Namen der Hausbewohner.
Auf der vierzehnten Etage gab es sechs Apartments. Bei der Nummer 76 stand ein Name, der mir bekannt vorkam. In kleinen schwarzen Druckbuchstaben stand dort: Mr. Dean Hard.
Die Lichter der Signalanlage sprangen jetzt den Weg nach unten. Als der Lift unten war, ging ich rein und spürte den neugierigen Blick des schläfrigen Fahrstuhlführers.
»Vierzehnte«, sagte ich.
Der Uniformierte nickte, drehte sich nach dgr Schalttafel um und brachte den Lift hoch. Ich lehnte mich gegen die Mahagoniverkleidung der Kabine und lauschte auf das gedämpfte Surren des Motors.
Ich erinnerte mich, dass Deän Hard der Name gewesen war, der in dem Mantel gestanden hatte, den Hank Brian in dem Pfandhaus gestohlen haben sollte.
Eins war auf jeden Fall gewiss. Ein Bursche, der in diesem Haus lebte, hatte es nicht nötig, seinen Mantel zu versetzen. Oder aber, falls er es doch tatsächlich irgendwann einmal gemacht haben sollte, mussten sich plötzlich seine Lebensumstände völlig geändert haben.
Ich war ganz in Gedanken verloren, als der Fahrstuhlführer brummte: »Vierzehnte.«
Ich trat aus der Kabine und ging über den Flur, der mit dicken Teppichen ausgelegt war, die jeden Laut der Schritte verschluckten.
Ich arbeitete mich durch den weichen Bodenbelag bis zur ersten Tür auf der linken Seite, über der in goldenen Ziffern die Nummer 76 stand. An der Türfüllung war unter dem Namensschild eine barocke Klingel, fast so groß wie eine Untertasse und so spiegelblank poliert, dass ich den Sitz meiner Krawatte kontrollieren konnte. Ich tippte den Klingelknopf an und hörte einen gedämpften Summton.
Nach wenigen Augenblicken hörte ich drinnen Schritte näherkommen. Dann wurde die Tür aufgerissen, und ein Mann stand dort. Er war groß, breitschultrig und trug ein offenes Nylonhemd und eine Flanellhose mit so scharf gebügelten Falten, dass man sich daran glatt verletzen konnte.
»Ja?«, brummte er unfreundlich, als würde er mich für einen Beamten der Steuerfahndung halten.
Ich erkannte ihn sofort. Er sah genau so aus wie auf der Fotografie. Es war Bernie Miller.
Ich schob mich durch die nur halb geöffnete Tür in die Diele und fragte höflich: »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen?« Er war viel zu überrascht, um auf meine Frage antworten zu können. In diesem Augenblick kam Evelyn Taylor aus dem Wohnzimmer. Sie starrte mich mit offenem Mund an.
»So trifft man sich wieder, Miss Taylor«, sagte ich ironisch.
Der Mann in dem Nylonhemd drehte sich herum, betrachtete mich von oben bis unten und schickte dann einen fragenden Blick zu Evelyn hinüber.
»Ist das einer von Bunters Kerlen?«, fragte er.
»Nein«, sagte sie. »Das ist Cotton.«
Der Mann mit den scharfkantigen Flanellhosen drehte sich zu mir um. »Was wollen Sie?«
»Bloß
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