041 - Der Satanskult
der Körper erzitterte.
»Wir müssen weg, Lilian. Werden Sie es schaffen?«
Sie sah ihn an und nickte. Marvin bemerkte zu seiner Überraschung, dass ihre Augen erstaunlich klar waren.
An einem Haken neben einem alten Schrank entdeckte er eine Art Umhang. Er riss ihn an sich, legte ihn über die nackten Schultern der Frau, hob sie auf die Arme und trug sie zur Tür, die hinaus zum Todesacker führte. Das alte Kastenschloss hing zerfetzt im Holz – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Anhänger Satans die Sakristei aufgebrochen hatten. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis sie auch die andere Tür aus den Angeln hoben. Es kam auf jede Sekunde an.
Er schob die Tür mit seinem linken Fuß auf, schaute sich kurz um, rannte dann mit seiner Last hinüber zu den Grabdenkmälern und wartete einen Moment, ehe er seine Deckung verließ. Vorsichtig ließ er Lilian schließlich auf die andere Seite des Steinwalls gleiten, sprang nach und sah seine Begleiterin prüfend an.
Sie erwiderte seinen Blick, lächelte verträumt und – ging wieder wie in Trance auf das kleine Wäldchen zu.
Marvin zögerte ihr zu folgen. Er horchte zu der kleinen Kirche hinüber. Es herrschte Stille.
Als er sich umwandte und Lilian folgte, fiel sein Blick auf eine nackte Kinderpuppe, die unter einem Strauch lag. Sie bestand nur noch aus dem Rumpf, dem Kopf und einem zersplitterten Bein. Die Augen waren eingedrückt, aber noch zu sehen.
Schaudernd wandte Marvin sich ab. Diese Puppe erinnerte ihn nur zu deutlich an die Hilflosigkeit Lilians, ließ ihn ahnen, welches Schicksal sie erwartete, wenn er nicht aufpasste.
Es war dunkel geworden. Monty Cooke stand auf der anderen Straßenseite und beobachtete seine Artistenkollegen, die nacheinander, einzeln oder in Gruppen, vor dem Bühneneingang erschienen und dann in dem großen, grauen Haus verschwanden. Monty traute sich nicht in seine Garderobe zurück. Voller Schauder dachte er an die unheimliche fremde Puppe, an seinen Manager Hyde und dessen Beschwörung und Anbetung des Bösen.
Endlich erschien David Hyde. Monty überquerte die Fahrbahn und baute sich vor ihm auf. Hyde sah ihn unsicher mit flackerndem Blick an. Er machte einen abgespannten und erschöpften Eindruck. Von seiner lärmenden Selbstsicherheit war nichts mehr zu bemerken.
»Ich muss mit dir reden, Monty. Ich habe versucht, dich in der Pension zu erreichen.«
»Ich bin ausgegangen und habe nachgedacht.«
»Kann ich mir vorstellen, Monty. Hör zu, Junge, ich muss dir da einiges erklären, dann wirst du mich verstehen.«
»Fang an, David!«
»Gehen wir rauf in deine Garderobe.«
»Ist die inzwischen wieder in Ordnung?«
»Natürlich. Ich bin noch einmal zurückgekommen. Du hast nichts zu befürchten.«
Monty nickte und folgte seinem Manager. Sie verschwanden im Bühneneingang, stiegen über die Eisentreppe hinauf ins Obergeschoss und erreichten die Garderobe. Hyde öffnete die Tür weit und ließ Monty hineinblicken. Cooke atmete erleichtert auf, als er alles an seinem gewohnten Platz vorfand.
Zögernd folgte er Hyde in die Garderobe; er blieb auf der Hut, rechnete mit Überraschungen. Erleichtert registrierte er, dass die schwarzen Kerzen nicht mehr zu sehen waren. Auch die fremde Puppe war verschwunden. Die Garderobe sah aus wie jede andere. Monty ließ sich im Sessel vor dem Schminktisch nieder und sah erwartungsvoll seinen Manager an.
David Hyde schloss die Tür, zündete sich mit mühsam beherrschten Bewegungen eine Zigarre an, lehnte sich gegen die nackte Ziegelwand und schien nach Worten zu suchen.
»Mach's nicht so spannend!«, sagte Monty, der seinem Manager gegenüber an innerer Sicherheit gewonnen hatte.
»Hast du schon mal was von Aleister Crowley gehört?«, begann Hyde zögernd und sah Monty prüfend an.
»Wer ist das? Ein Kollege von mir?«
»Mann, hast du eine Ahnung!« Hyde schüttelte den Kopf und lachte sichtlich gezwungen. »Aleister Crowley ist der Gründer des Ordens Ordo Argentinum Astrum .«
»Damit kann ich nichts anfangen. Was soll das bedeuten?«
David Hyde reckte sich, schien sich jetzt sicherer zu fühlen. Eine innere Begeisterung erfasste ihn, wie Monty sofort bemerkte.
»Handelt es sich um einen Geheimorden?«
»Jetzt kommst du der Sache schon bedeutend näher, Monty. Crowley ist der Herrscher des Thelema-Ordens. Nein, lass mich jetzt erzählen! Fragen kannst du später immer noch stellen. Aleister Crowley wird auch To Mega Therion genannt. Die Bezeichnung stammt aus der Apokalypse
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