0416 - Das Duell der Halbstarken
erhalten, werden sich an den Rovelt-Fall erinnern. Vielleicht werden sie zahlen, vielleicht werden sie ihre Kinder rasch in eine Gegend schicken, die sie für sicher halten, aber die Aussichten, daß sie sich an uns oder an die Polizei wenden, sind jetzt geringer als vorher. Angst ist die beste Waffe aller Gangster.«
Er blickte einige Sekunden lang vor sich hin auf die Schreibtischplatte. Ich sah den Chef mit steigender Verwunderung an. Ich hatte ihn selten so düster gesehen.
»Ich befürchte noch etwas«, fuhr er fort. »Wer immer die Rovelt-Briefe zusammengeklebt und wer die Kugeln in die Colts gezaubert haben mag, andere Gangster, nicht weniger brutal und skrupellos als der Unbekannte, werden von seinem Fall lesen, und sie werden finden, daß er eine gute Idee ausgeschwitzt hat. Jemanden zu entführen und dann ein Lösegeld zu erpressen, hat sich in den meisten Fällen als zu riskant herausgestellt. Jemandem kurz zu schreiben: Zahlen Sie, sonst stirbt Ihre Frau oder Ihr Kind, das ist ein-I'acher, risikoloser und kaum weniger erfolgversprechend.«
Phil und ich begriffen zu gut, welche Sorgen den Chef drückten. Jeder, der sich mit Kriminalistik beschäftigt, weiß, daß ungewöhnliche Verbrechen häufig eine Serie von »Nachfolgeverbrechen« auslösen. Die Zeitungsberichte über den Rovelt-Fall bargen die Gefahr in sich, daß jeder Halbstarke — ein häßliches Wort — damit begann, Drohbriefe aus Buchstaben zusammenzukleben und zu verschicken. Gefährlich würde es allerdings erst, wenn Berufsgangster sich der gleichen Methode wie im Rovelt-Fall bedienten.
»Wenn wir eine Serie von Verbrechen aufhalten wollen, bevor sie zum Ausbruch kommt«, sagte Phil, »müssen wir den Täter im Rovelt-Fall in kürzester Frist finden.«
Mr. High nickte. »Stimmt genau, Phil! Welche Möglichkeiten haben wir?«
»Die Untersuchung im Club, die Prüfung der Briefe, die Vernehmungen, das alles hat uns keine Anhaltspunkte gebracht«, sagte ich. »Wir haben nur eine Möglichkeit. Wir veröffentlichen in der New York Times das Wort, das der Briefkleber lesen wollte. Wir geben eine Anzeige mit dem Wort ›Einverstanden‹ auf.«
»Die Anzeige sollte in der Morgenausgabe am 28. erscheinen«, sagte Phil. »Am 29. nützt sie gar nichts mehr.«
»Wann sind die Kugeln ausgewechselt worden, Phil?«
»Vermutlich in der Nacht vom 27. zum 28.«
»Also wurde die scharfe Munition in die Colts geschoben, bevor der Täter wissen konnte, ob das Wort ›Einverstanden‹ in der Morgenausgabe der New York Times stehen würde oder nicht.«
Ich blickte auf die Armbanduhr.
»Wenn Sie einverstanden sind, Chef, gebe ich die Anzeige sofort auf. Es kann gerade noch klappen.«
Mr. High wies auf den Telefonapparat. Einige Minuten später telefonierte ich mit der Anzeigenannahme der Zeitung. Sie versprachen, meine Anzeige noch in der Morgenausgabe vom 29. unterzubringen.
»Was soll jetzt geschehen?« fragte Phil. »Welche Reaktion soll die Anzeige auslösen?«
»Einen Anruf des Briefschreibers. Das Wort bedeutet schließlich, daß James Rovelt zahlen will. Die Aussicht auf fünfzigtausend Dollar sollten ihm zwei Nickel für den Telefonanruf wert sein.«
Phil schüttelte den Kopf. »Du vergißt, Jerry, daß unser Unbekannter in der gleichen Zeitung lange Berichte von den Ereignissen im Tradition-Club lesen wird. Der Mann müßte dumm sein, wenn er nicht auf den Gedanken käme, daß die Anzeige als Lockruf von der Polizei auf gegeben wurde.«
»Selbstverständlich wird er auf diesen Gedanken kommen. Trotzdem wird er anrufen, und wenn ihn nur die Neugier dazu treibt. Er riskiert ja nichts. Ob wir den Faden dann weiterverfolgen können, hängt ganz von Rovelt ab.«
»Mr. Rovelt muß dem Anrufer glaubhaft erzählen, daß er erstens von der Polizei nichts hält und daß er zweitens immer noch um das Leben seines nur knapp davongekommenen Sohnes so fürchtet, daß er zahlen will, um ein zweites Attentat zu vermeiden«, fügte Mr. High hinzu. »Eine schwierige schauspielerische Aufgabe für einen Börsenmakler.«
»Unsere einzige Möglichkeit. Außerdem besitzt Rovelt senior ein Temperament, das ihn zu ungewöhnlichen Leistungen befähigt, wenn man es richtig anheizt. Ich möchte ihn noch heute sprechen.«
»Versuchen Sie Ihr Glück, Jerry.«
***
Ich ließ es nicht auf ein Telefongespräch ankommen, sondern fuhr mit Phil zu James Rovelts Privatwohnung. Ein Diener öffnete, aber er verweigerte uns zunächst, mit seinem Boß zu reden. Als wir ihm
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