0418 - Zwei Orchideen für eine Tote
Nur hinter wenigen Fenstern brannte Licht.
»Aber jetzt mußt du deine Maske abnehmen«, sagte Elroy, als sie in der Türnische standen.
Im gleichen Augenblick fuhr ein zweites Taxi vor. Eine junge Frau mit langem rotem Haar stieg aus. Sie trug ein Abendkleid, entlohnte den Fahrer und kam zur Haustür. Bevor sie aufschloß und im Haus verschwand, lächelte sie verschmitzt vor sich hin und warf Elroy einen prüfenden Blick zu. Sie sah sein schmales, blasses Gesicht, die breite, von Querfalten durchzogene Stirn, die grünen Augen, den weißblonden, borstigen Haarschopf.
Elroy Hammer wartete, bis die Frau verschwunden war. Dann wandte er sich an die Zigeunerin, die in ihrem Wintermantel zu frösteln schien. »Also, meine Süße… Höchste Zeit für Demaskierung«, sagte er verliebt. »Einen Gute-Nacht-Kuß habe ich mir ja wohl verdient. Und es bleibt doch bei unserer Verabredung. Morgen abend um sieben im Plazer in der 23. Straße.«
Das Girl antwortete nicht. Es schien unter seiner Maske von einem lautlosen Lachen geschüttelt zu sein. Dann brach es aus ihr heraus.
»Oh, Junge, hast du dich auf den Leim führen lassen.« Eine Hand fuhr zum Gesicht, zerrte die Maske herunter, riß im gleichen Augenblick die Perücke weg.
Wie erstarrt blickte Elroy Hammer in ein braunes, lachendes Jungengesicht, auf eine kurzgeschorene, sportliche Haarbürste.
Dann fuhr die andere Hand der ›Zigeunerin‹ unter den Mantel, nestelte herum, kam mit zwei Stoffballen wieder zum Vorschein.
»Da, du Dummkopf, da hast du deine Zigeunerin. Oh, Junge, war das ein Spaß. Hast du dich auf den Leim führen lassen…«
Das Folgende geschah in Bruchteilen von Sekunden. Eine Wut, die so unerträglich war, daß sie ihm die Brust zu., sprengen drohte, erfüllte Elroy Hammer. Ein roter Schleier senkte sich über seinen Blick. Er griff in die Tasche, fühlte das Messer, riß es heraus. Die Klinge schoß aus dem Heft. Mit der Linken packte er die schmale Gestalt, mit der Rechten stieß er zu.
Es geschah in gespenstischer Stille. Das Opfer stieß keinen Laut aus. Es brach vor der Haustür zusammen, sank in den Schneematsch, war tot, bevor es die Kälte fühlen konnte.
Elroy Hammer rannte wie gehetzt davon. Das blutige Messer in der Hand.
Der zwanzigjährige Philosophie-Student Chuck Byron, der sich einen Spaß ausgedacht und als Zigeunerin verkleidet hatte, der an sieben Messerstichen starb, von denen jeder einzelne tödlich gewesen wäre — Chuck Byron wurde erst sechs Stunden später, am Morgen des 8. Februars, von seiner Schwester Vera gefunden.
Vera Byron war die rothaarige Frau, die mit dem Taxi heimgekommen war. Sie als einzige hatte den Mörder gesehen. Sie konnte ihn beschreiben. Sein Bild hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis geprägt.
Die Ermittlungen im Mordfall Chuck Byron wurden von der Mordkommission Manhattan West geführt. Obwohl man wußte, wie der Täter aussah, waren alle Bemühungen vergeblich. Der Mörder blieb verschwunden.
Ein Jahr später wurde die Akte mit dem Vermerk ›ungeklärt‹ geschlossen.
***
Am Abend des 2. Juli 1964 grollte d Donner über Manhattan, rissen Blitze glühende, gezackte Narben in die schwarze Wolkenhaut des Himmels. Es war so schwül, daß man fast durch die Luft waten mußte.
Ich hatte einen schweren Tag hinter mir und war froh, als ich meinen Jaguar vor dem Haus, in dem ich wohne, stoppen konnte. Als ich ausstieg, fielen die ersten Tropfen. Sie waren dick und warm und klatschten deutlich fühlbar auf meinen neuen Sommerhut. Ich schloß meinen Flitzer ab und beeilte mich, ins Haus zu kommen. In der Wohnung stand die Luft wie eine Wand. Ich riß sämtliche Fenster auf und versuchte, die Temperatur erträglich zu machen.
Als ich mir einen kalten Drink mixte, läutete es an der Wohnungstür.
Ich stellte den Drink weg und nahm die Smith and Wesson aus der Schulterhalfter, die ich mit dem Jackett abgelegt hatte. Ich schob die Waffe in die Hosentasche, ließ die Hand am Kolben und ging zur Tür.
Jahrelange Erfahrungen haben mich gelehrt, daß das nie falsch ist. Diesmal allerdings war die Vorsichtsmaßnahme überflüssig. Die traurige Figur, die sich vor meiner Wohnungstür auf gebaut hatte, wollte mir bestimmt nicht an den Kragen.
»Hallo, Floyd«, sagte ich. »Komm ‘rein, wenn du einen Drink willst.«
Floyd Snack nickte grinsend und schob sich über die Schwelle, fast ohne die Füße zu heben. Ich kannte den Burschen seit geraumer Zeit. Er war so eine Art Unterweltmaskottchen,
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