0418 - Zwei Orchideen für eine Tote
Sie konnte nur mühsam ihren Triumph verbergen. »Was dir die Ärzte erzählt haben, ist eine barmherzige Lüge. In Wirklichkeit bist du schwer krank. Die Bestrahlungen, die du bekommst, sind nutzlos. Es geschieht nur zu deiner Beruhigung. Was in deinen Schläfen klopft und schmerzt, ist keine harmlose Geschwulst, die sich mit Bestrahlungen beseitigen läßt. Es ist ein bösartiger Tumor. Er läßt sich nicht operieren.«
Wie eine Stahlfeder schnellte Elroy Hammer aus dem Sessel. »Nein!« Seine Stimme überschlug sich, gellte durch das leere Haus. »Du lügst, du verdammte Kreatur. Du willst mich quälen. Willst Rache. Aber«, brach in ein sinnloses, hohles Lachen aus, »ich glaube dir nicht. Ich gehe dir nicht auf den Leim.«
Die Frau streckte den Arm aus, deutete zum Telefon, das auf einem kleinen Tisch stand. »Ruf Doktor Holms an! Laß dir‘s doch bestätigen.«
»Ich glaube dir nicht.« Seine Stimme war nur noch ein schwaches Flüstern. Er wußte plötzlich, daß seine Frau die Wahrheit sagte. Er war unheilbar krank. Die Schmerzen, die Schwindelgefühle — trotz der Bestrahlungen war es in den letzten Wochen schlimmer geworden.
»Aber«, sagte er hilflos, »man hat mich doch genau untersucht. Man hat mir doch diese Flüssigkeit in den Kopf gepumpt, um dann auf dem Röntgenbild genau feststellen zu können, was für ein Gewächs in meinem Schädel sitzt.«
»Natürlich«, sagte die Frau nickend. Sie konnte in diesen Worten keinen logischen Einwand entdecken. »Man hat das alles getan. Man hat dir auch hinterher gesagt, daß es sich um eine harmlose Gewächsbildung handelt, die sich mit Bestrahlungen beseitigen läßt. Aber das ist eine Lüge. In Wahrheit wuchert ein bösartiger Tumor in deinem Schädel. Niemand auf der ganzen Welt kann ihn wegoperieren.«
Elroy Hammer preßte die Hände vors Gesicht. Minutenlang blieb er in dieser Haltung sitzen, aufmerksam von seiner Frau beobachtet.
Dann ließ der Mann die Hände sinken. »Wieviel Zeit habe ich noch?«
»Doktor Holms meint, ungefähr ein Jahr.«
»Ein Jahr«, murmelte er vor sich hin. Seine Hände begannen zu zittern. »Werden die Schmerzen stärker?«
Margret Hammer nickte. Hastig sagte sie: »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Du bleibst natürlich hier im Haus. Ich geb‘ dich in keine Anstalt.« Der Mann erhob sich, wankte zu der kleinen Hausbar und schenkte sich ein hohes Glas bis zum Rand voll. Er setzte es an die Lippen und trank den Whisky, ohne abzusetzen. Als das Glas leer war, stellte er es auf die gläserne Platte der Hausbar.
»Werde ich noch Schach spielen können? Oder werde ich langsam verblöden?«
»Aber nicht doch, Elroy. Es gibt heutzutage Mittel und Medikamente, um Schmerzen zu lindern und um…« Sie wußte nicht, wie sie es ausdrücken sollte und fuhr fort: »… auch alles andere zu regeln. Du wirst ganz bestimmt auch weiter Schach spielen können.«
Er nickte, ließ sich in seinen Sessel fallen.
Schach.
Das war das einzige, was er wirklich konnte. Seit Jahren brütete er oft tagelang über verzwickten Aufgaben. Er liebte das Spiel der Könige, war Mitglied in einem bekannten Schachklub, hatte es zu Meisterehren gebracht, war in dieser Woche in der Fachzeitschrift Schach-Courier abgebildet worden.
Elroy Hammer griff zu dem Stapel von Zeitungen und illustrierten Blättern, die neben seinem Sessel auf einer korbgeflochtenen Ablage ruhten.
Der Schach-Courier lag oben auf dem Stapel. Der Mann schlug ihn auf und suchte das Bild. Es war auf der dritten Seite. Eine Gruppenaufnahme. Die vier Meister des Brooklyner Schachclubs. Sie waren namentlich genannt.
Elroy Hammer träumte in einer Art Dämmerzustand vor sich hin. Seine Frau mußte ihn dreimal ansprechen, bis er schließlich aufblickte und in die Wirklichkeit zurückfand.
Er wischte sich über die Augen. Er wurde sich der grauenhaften Nachricht bewußt. Die Angst fiel ihn an wie ein wildes Tier, gegen das er sich nicht wehren konnte.
»… und deswegen meine ich, daß wir uns von nun an vertragen sollten. Wir müssen ein bißchen nett zueinander sein. Damit das ganze Leben, damit unsere Ehe nicht völlig umsonst, nicht völlig nutzlos…«
Sie redete, aber er hörte nicht zu.
Er ging zum Telefon. Doktor Holms' Nummer kannte er auswendig. Er wählte, wartete auf das Freizeichen. Es dauerte lange, bis sich der Arzt meldete.
»Hören Sie, Doc«, sagte Hammer mit einer Stimme, die ihm selbst fremd war. »Sie müssen mir unbedingt sagen, was mit mir los ist.
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