042 - Die Schweinemenschen von Rio
stinkende, besudelte Bettzeug sowie einige unbrauchbar gewordene Möbel schafften wir aufs Dach hinaus.
Vom Dach aus war die Aussicht herrlich. Man hatte einen Ausblick über Copacabana, ganz Rio und den Atlantik. Die Stadt und der Ozean badeten im Licht der Tropensonne, die bald schon den Horizont berühren würde. Die Autos in den Straßen und die Schiffe im Hafen Richtung Norden an der Einfahrt der Bucht von Guanabara wirkten wie Spielzeuge. Flugzeuge starteten und landeten von den Flughäfen Santos Dumont und Galeao.
Machu Picchu war begeistert. Entzückt schlug sie die Hände zusammen, warf sich stürmisch an meinen Hals und küsste mich.
»Deine Welt ist schön, Dorian.«
Ich lächelte über Machu Picchus Gewohnheit, die Welt der Gegenwart als meine Welt zu bezeichnen. Was wusste sie von Weltkriegen, heimtückischen Krankheiten wie Krebs, von Luft- und Umweltverschmutzung, der Überbevölkerung und von Massenvernichtungswaffen? Hinzu kamen die Dämonen, die um so gefährlicher waren, weil die überwiegende Mehrheit der Menschen ihre Existenz nicht wahrhaben wollte.
Diese Welt war gewiss nicht nur schön, wie Machu Picchu annahm, die im Moment von der Aussicht und den technischen Errungenschaften begeistert war; ich wollte mich jedoch bemühen, die Schattenseiten der Zivilisation so gut wie möglich von ihr fernzuhalten.
Machu Picchu schaute den Kasten mit der grauen, konkaven Glasscheibe an. Dorian Hunter war im Bad, das einigermaßen gereinigt worden war. Jeff Parker und Sacheen hielten sich im Obergeschoss auf. Mit sechs Zimmern und hundertachtzig Quadratmetern war die Penthousewohnung sehr geräumig.
Machu Picchu drehte neugierig an den Knöpfen. In Manaus, im Aufenthaltsraum des Hotels, hatte sie einen ähnlichen Kasten gesehen. Er hatte sprechen können und Bilder gezeigt.
Plötzlich krachte ein Schuss, Machu Picchu sprang mit einem Schrei zurück. Die graue Scheibe war jetzt farbig. Sie zeigte ein unrasiertes, brutales Gesicht. Ein böse blickender Mann sagte etwas. Dann wechselte das Bild und derselbe Mann bedrohte mit einer Schusswaffe ein junges Mädchen. Zu seinen Füßen lag ein Toter. Das Mädchen warf sich vor ihm auf die Knie und flehte ihn an, sie zu verschonen.
»Dorian!«, schrie Machu Picchu. »Dorian, schnell!«
Sie sah sich um, nahm einen Aschenbecher und wollte ihn gerade in den Bildschirm werfen, als Dorian Hunter hereingestürmt kam, tropfnass, ein Handtuch um die Hüften, eine großkalibrige Pistole in der Faust.
»Da, Dorian!«
Es war eins der in Lateinamerika so beliebten Eifersuchtsdramen, wie Dorian gleich erkannte. Er drehte den Ton ab.
»Das ist doch nur ein Fernsehapparat«, sagte er zu Machu Picchu. »Was da stattfindet, ist ein Spiel – wie ein Theaterstück.«
»Ja, ja, ich weiß, aber ich bin so erschrocken, als er plötzlich sprach und die Bilder erschienen.«
Der gehörnte Ehemann auf dem Bildschirm erschoss nun die junge Frau und sich selber. Machu Picchu schaute fasziniert zu.
»Warum macht er das?«
»Das gehört zum Spiel. Es ist nur zur Unterhaltung gedacht und hat nichts zu bedeuten. Setz dich jetzt hin, blättere in einem Magazin und warte, bis ich fertig bin! Dann machen wir einen Einkaufsbummel, und ich zeige dir Rio.«
»Ich will das Spiel im Fernsehen anschauen. Ob wohl noch mehr Leute umgebracht werden?«
Sie ist also auch schon von der Seuche des Fernsehens infiziert, dachte Dorian. Der Spielfilm war zu Ende. Anschließend kam Werbung. Dorian suchte auf den anderen Fernsehkanälen; in einem wurde gerade ein Halb-Stunden-Krimi gesendet. Dorian hoffte, dass Machu Picchu dabei auf ihre Kosten kam und entschwand wieder ins Bad.
Der Krimi war schlecht gemacht. Lange Dialoge schleppten sich vor uninteressanten Szenenbildern hin. Machu Picchu begann bald zu gähnen. Sie stöberte im Zimmer herum. Eine Zeitlang bestaunte sie das Schauspiel der hinter den Häusern im Meer versinkenden Sonne; dann ging sie in die gut eingerichtete Küche. Sie war schmutzig, aber das fiel Machu Picchu nicht besonders auf. Interessiert betrachtete sie die Sichtscheibe des Elektroherds. Vielleicht wurde hier etwas Interessanteres gezeigt? Sie drehte an ein paar Knöpfen. Ein paar bunte Lichtchen flammten auf, aber das war auch schon alles; kein Bild erschien. Machu Picchu wandte sich enttäuscht ab, öffnete den Kühlschrank und schaute hinein. Er war leer. Dorian und die andern hatten die verdorbenen Lebensmittel weggeworfen. Machu Picchu hielt die Hand hinein und
Weitere Kostenlose Bücher