0422 - Der Pirat und die Hexe
Retekin sich an den Parapsychologen. »Der Mann, dessetwegen der Professor mir fast die Hölle heiß gemacht hat. Ich solle Sie um Himmels willen an Bord holen, hat er gesagt.«
Zamorra grinste. Himmel und Hölle in einem Atemzug zu zitieren war auch eine Kunst für sich. »Professor?« staunte er. »Wen haben Sie denn an Bord, Kapitän? Wer kennt mich denn hier so gut?«
»Der da«, sagte Retekin und streckte den Arm aus.
Zamorra sah in die angegebene Richtung. Aus dem Kabinenaufbau trat ein hochgewachsener massiger Mann hervor. Zamorra starrte ihn ungläubig an.
»Du hier?«
»Komm in meine Arme, Brüderchen Zamorra«, strahlte ihn der russische Professor an. Er zog Zamorra an seine breite Heldenbrust und drückte ihm einen schmatzenden Begrüßungskuß auf die Wange. Dann wandte er sich Nicole zu. »Nicht so schüchtern, Nicole«, forderte er grinsend. »Ich nenne dich zwar Schwesterchen, aber deshalb brauchst du doch nicht so furchtbar schwesterlich zurückzuküssen. Deinen Zamorra behandelst du doch auch nicht so pfleglich-zurückhaltend …«
»Wüstling!« Nicole befreite sich aus der Umarmung und drohte dem Russen mit erhobenem Zeigefinger.
»Du kennst diesen Bären in Menschengestalt?« staunte Siccine.
»Das ist Professor Boris Iljitsch Saranow, im wahrsten Sinne gewichtiger Parapsychologe und in der Chefetage seiner Fakultät recht hoch angesiedelt, wenn ich mich recht entsinne. Pendelt normalerweise zwischen der Universität in Moskau und der Forschungsstadt Akademgorodok hin und her, aber daß er sich hier auf See herumtreibt, hätte ich mir nicht träumen lassen. Nicole, hast du das geahnt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Mir ist der lange, unerlaubte Auslandsaufenthalt nicht besonders gut bekommen«, bekannte Saranow, der nach einer dämonischen Entführung und dem Umweg über eine andere Dimension schließlich für längere Zeit in Merlins unsichtbarer Burg in Wales gelandet war, wo er mit einem Sauroiden aus der Echsenwelt parapsychologische Erfahrungen ausgetauscht hatte. »Da hat man beschlossen, diesen Aufenthalt gleich ein wenig zu verlängern. Deshalb bin ich hier.«
»In Ungnade gefallen?«
»Aber nein«, wehrte Saranow ab. »So nennt man das heute nicht mehr. Außerdem hätte man mich dann nach Sibirien geschickt, um die Wölfe nach ihren Träumen zu fragen. Wenn man mir sehr böse wäre, hätte man mir sicher nicht die Leitung unseres Projektes übertragen. Ich glaube, man versucht nur, noch ein wenig länger ohne mich auszukommen in Akademgorodok.«
»Kann man das nicht abkürzen?« klagte Siccine. »Das ist ja ein unaussprechliches Wort.«
»Man gewöhnt sich daran«, sagte der Russe.
»Woran forscht ihr eigentlich hier in dieser entlegenen Gegend?« erkundigte sich Zamorra.
Saranow hob die Brauen. Er sah Siccine an. Der grinste plötzlich.
»Parapsychologe … PSI-Forschung … ich denke, da tun wir uns gegenseitig nicht weh, ob wir nun Amerikaner oder Russen sind. Meine Leute forschen auch …«
»Auch an dem Projekt, mit dem wir es zu tun haben? Undenkbar«, warf Kapitän Retekin ein.
Saranow schlug Zamorra auf die Schulter. »Komm, Brüderchen. Nimm deine Begleitung mit. Ich habe ein Begrüßungsfläschchen bereit gestellt. Wir haben uns immerhin seit der Sache mit dem Kontrollgeist Kaithor nicht mehr gesehen, nicht wahr? Wir müssen unser Wiedersehen feiern.« [2]
Nicole seufzte.
»Ja, richtig – du warst ja gar nicht dabei, Schwesterchen Nicole«, erkannte Saranow. »Dann hast du ja doppelten Grund zum Feiern. Es wird lustig, Genossen.«
Siccine wechselte einen etwas verzweifelten Blick mit seinem Kollegen Retekin. Der grinste. »Keine Angst, Commander. Es gibt Wodka, kein Rattengift. An russischem Wodka ist noch keiner gestorben – zumindest nicht auf meinem Schiff.«
»O weh«, murmelte Siccine eingedenk der gerade erst durchzechten letzten Nacht. Zamorra fühlte sich auch nicht ganz wohl dabei. Eigentlich war er nicht auf die GOGOL gekommen, um sich zu betrinken. Saranow schob sich zwischen die beiden Männer und legte ihnen die Arme auf die Schultern. »Macht kein so saures Gesicht, Genossen«, sagte er. »Seid fröhlich und laßt uns feiern. Feiern ist eine russische Erfindung.«
»Halt bloß die Klappe mit deinen dummen Sprüchen«, murmelte Zamorra.
Ein paar Dutzend Meter vor ihnen öffnete sich eine andere Tür. Ein mageres, blaßhäutiges Mädchen trat ins Freie und sah zu ihnen herüber.
Zamorra versteifte sich.
Zwischen Nicole und dem
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