0422 - Der Pirat und die Hexe
ein Strand aus?«
Luc Bonnard schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht«, stellte er fest.
»Und warum fahren wir dann ausgerechnet hier hin?« wollte Beatrice wissen. »Sollen wir die schwarzen Felsen anstarren, bis uns schlecht wird? Oder willst du die SEAFOX auf die Klippen setzen? Was hast du eigentlich vor?«
Ihre Augen blitzten. Der dreißigjährige Schiffseigner lächelte. Er hob die Hand und strich durch das lange kastanienbraune Haar des nackten Mädchens, das seinen Ärger offen zur Schau stellte. Beatrice entzog sich seiner Hand und trat einen Schritt zurück.
»Einen Schatz finden«, sagte Bonnard.
»Das ist doch ein Scherz«, sagte die sonnengebräunte Beatrice. »Ein dummer Witz, oder? Einen Schatz finden! Was für einen Schatz überhaupt?«
»Einen Piratenschatz.«
Sie tippte sich an die Stirn. »Spinner. Du hast zu viele schlechte Filme gesehen. Komm, sag Leon, daß er den Kurs ändern soll. Ich will den versprochenen weißen Sandstrand.«
Bonnard sah an ihr vorbei zur Steilküste. Die fast schwarzen Felsen ragten schroff empor. Dicht unter der Wasserlinie befand sich eine kleine Plattform, einer Terrasse nicht unähnlich. Sie wurde von den Wellen überspült. Schaumkronen kräuselten sich auf der Fläche. Zu ihr gab es keinen anderen Zugang als vom Meer her. In einiger Entfernung traten die steilen Felsen rechts und links bis ans Wasser vor. Und von oben herab sich abzuseilen, war ein Risiko selbst für erfahrene Kletterer.
»In einer Stunde setzt die Ebbe ein«, sagte Bonnard.
»Ja und? Meinst du, daß dann mein Strand auftaucht, he? Du bist verrückt, Luc. Laß uns abdrehen und woanders hinfahren.«
»Später. Erst will ich wissen, ob das hier der richtige Platz ist. Es sieht immerhin danach aus.«
Beatrice schüttelte den Kopf.
Inzwischen waren auch die beiden anderen Mädchen herangekommen. »Luc ist nicht verrückt«, sagte Jessica Kyllan. Sie schob die Sonnenbrille, ihr einziges ›Kleidungsstück‹, hoch ins naturblonde Haar. »Es muß hier tatsächlich einen Schatz geben. Wir haben eine Beschreibung. Demzufolge sind wir hier richtig. Es sei denn, jemand war schon vor uns da.«
Beatrice seufzte. »Leute, wir leben im zwanzigsten Jahrhundert. Es gibt keine Schatzsucher-Romantik mehr.«
»Wer sagt das?« fragte Luc trocken.
»Sag mal«, warf die ebenfalls blonde Patricia Jones ein. »Sag mal, warum erzählst du uns erst jetzt davon? Willst du uns auf den Arm nehmen, oder was? Dann kannst du gleich wieder nach Brisbane zurückfahren und uns da absetzen.«
»Nun regt euch nicht auf.« Luc wandte sich zum Kabinenaufbau um. Oben in der kleinen Steuerkanzel langweilte sich Leon Grown. Bud Prentiss befand sich unter Deck. Zu sechst waren sie von Brisbane aus losgefahren, von der australischen Ostküste quer durch die Tasman-See nach Neuseeland. Um die Spitze der Nordinsel herum auf die andere Seite. Hier gab es in Höhe der schmalen Landenge bei Auckland ein paar vorgelagerte kleine Inseln, die unbewohnt und kaum bewachsen waren. Basaltblöcke, Felsklötze, Ödland. Fast zwölfhundert Seemeilen. Bei einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von zwanzig Knoten – nur wenig mehr als 30 km/h – rund dreieinhalb Tage Fahrt. Sie hatten wilde Parties an Bord gefeiert, hatten Pläne geschmiedet und von ein paar Tagen Faulenzerei an weißen Stränden geträumt. Danach die Rückfahrt … sie hatten Zeit. Sie waren unabhängig, niemand drängte sie. Mit der eigenen Yacht war es ein preiswerterer Urlaub, als mit einem Reiseunternehmen unterwegs zu sein oder eine Kreuzfahrt zu buchen. Bis jetzt hatten die drei Männer und die Mädchen sich hervorragend verstanden. Aber zumindest bei Beatrice schien sich jetzt angesichts der bedrohlich wirkenden, schroffen schwarzen Felsen so etwas wie Bordkoller abzuzeichnen. So zumindest schätzte Luc Bonnard es ein.
»Bud«, rief er. »Die Karte!«
»Was für eine Karte?« Patricia Jones, als einzige mit einem knappen Tanga bekleidet, wenn auch nicht aus Gründen der Sittsamkeit, stürmte zum Niedergang und wollte dabei sein, wenn Bud die erwähnte Karte auspackte.
Leon erwachte aus seiner Langeweile. Er stoppte die Maschinen und warf per Knopfdruck den Anker aus. Das Wasser war hier inzwischen niedrig genug, daß er greifen konnte. Das gleichmäßige Wummern der beiden Volvo-Turbodiesel im Bootsheck verstummte.
Patricia und Bud tauchten wieder an Deck auf. Leon kam vom Steuerstand herunter. Bud legte einen flachen Aluminiumkoffer auf die
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