0422 - Der Pirat und die Hexe
der Kommandobrücke des Piratenseglers. Er beobachtete das geschäftige Treiben an Bord und wunderte sich, daß er am Nachmittag niemanden an Deck gesehen hatte.
»Admiral Zamorra, uns sieht nur, wer sich selbst an Bord meines Schiffes befindet. Für jeden Außenstehenden bleiben wir unsichtbar, weil wir doch nicht mehr in der Welt der Lebenden existieren, in die wir durch Yannatehs Fluch verbannt wurden«, bot ihm van Buuren eine Erklärung an.
In anderen Punkten war er weniger auskunftsfreundlich, aber als Zamorra die charakteristischen Umrisse der Basaltfelsen im Mondlicht sah, ahnte er, daß hier ein langer Weg sein Ende finden sollte. Aber noch fehlten ihm die Zusammenhänge.
Henryk van Buuren erzählte.
Yannateh war eine Frau, die ihre Seele dem Teufel verschrieben hatte. Sie wollte Macht und Reichtum, und das eine bekam sie durch das andere. Mit ihrer Magie stempelte sie van Buuren zum Seeräuber, den Holländer, der weiter ins Unbekannte vorstieß, um neue Handelswege zu erschließen, und länger unterwegs war als andere Schiffer. Mit welchem wirklichen Piratenschiff sie Schätze ansammelte, wußte niemand, denn jeder, der von Yannatehs Seewölfen überfallen wurde, sah van Buurens Dreimaster vor sich! Plötzlich wurde van Buuren auf den sieben Meeren gejagt wie ein Aussätziger, und die Kopfprämie für ihn wurde immer höher. Man hielt ihn für den brutalen Piraten, der sich am Untergang und Sterben anderer ergötzte und immer nur einen Menschen am Leben ließ, der dann von van Buurens Piratenschiff berichten konnte.
Van Buuren wurde mehrmals von anderen Schiffen gestellt und beschossen, aber er schaffte es mit seiner verschworenen Mannschaft immer wieder, mit halbwegs heiler Haut davonzukommen. Nachdem er auch noch zwei portugiesische Kriegsschiffe versenkt hatte, war er in den Augen seiner Jäger der Satan selbst.
Er seinerseits machte Jagd auf Yannateh! Nur wenn er die Hexe in die Hände bekam, konnte er seine Unschuld beweisen, doch die Schwarze Priesterin wich ihm lange Zeit aus, ohne ihr böses Spiel zu beenden, das sie mit ihm trieb.
Doch eines Tages bekam er sie in die Hände.
Ihr Schiff, das wirkliche Piratenschiff, wurde von den Kanonen van Buurens zerschmettert. Sie war die einzige Überlebende, wie auch sie stets nur einen am Leben ließ, und van Buuren entwendete ihr einen Ring und einen Dolch, in denen Zauberkräfte stecken mußten.
Ihr Schatz, unglaubliche Werte in sich bergend, wurde gefunden. Van Buuren brachte die zusammengeraubten Kostbarkeiten in dem Felsenloch auf dieser Insel unter und schützte sie mit einer Platte vor zufälliger Entdeckung. Er wollte, wenn er Yannateh der weltlichen Gerichtsbarkeit auslieferte und seine Unschuld bewies, danach auch den Schatz vorführen.
Aber Yannateh holte sich ihren Ring zurück, und mit diesem Ring floh sie zur Schatzinsel. Van Buuren folgte ihr, und in der Grube über den Schätzen gab es einen verzweifelten Kampf. Er erschlug sie, aber sterbend belegte sie ihn mit einem Fluch. Solange der Schatz in ihren Händen blieb, war van Buuren verflucht, keine Ruhe zu finden und niemals selbst wirklich sterben zu können. Immer würde er wiederkehren müssen, sobald Menschen den Schatz entdeckten, um ihn für sich zu rauben. Das würde er verhindern müssen. Denn er brauchte ihn selbst.
Wenn er ihn in seinen Händen hielt, fand er die Erlösung.
Doch Yannateh war selbst im Tode noch mächtig. Eine Sperre entstand, die van Buuren zurücktrieb. Weder er noch ein anderer konnten die Sperre noch durchdringen. Nur mit dem Ring, den Yannateh trug, war das möglich.
Yannateh starb, doch ihr Geist lebte weiter. Er wachte über den verhängnisvollen Schatz.
Noch in derselben Nacht wurde van Buurens Schiff von seinen Jägern aufgebracht und förmlich in Stücke geschossen. Keiner seiner Männer überlebte. Und niemand wußte mehr etwas von Yannatehs Schatz.
»Aber es gab doch eine Karte, einen Plan«, wunderte Zamorra sich.
»Ja. Ich zeichnete ihn. Doch wie er die Zerstörung meines Schiffes überstand, und wie er in die Hände lebender Menschen geriet nach so vielen Jahrhunderten, weiß ich nicht, Admiral Zamorra. Doch als jetzt die Steinplatte entfernt wurde, und Menschen den Schatz entdeckten – vielleicht hat Yannatehs böser Geist ihnen den Plan zugespielt – da erwachte der Fluch. Und zugleich rief etwas mich, rief uns alle aus den Tiefen der Vergangenheit und des Vergessens, aus der Jenseitssphäre, in der wir zum ewigen Warten
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