0429 - Das Land der blauen Türme
stechenden Geruch von Tierleibern mit sich.
Die Sonne ging unter, und mächtige lange Strahlenbündel durchschossen den Himmel und färbten die Kumuluswolken blutigrot. Dunkle Gestalten hoben sich von der Ebene ab, gingen wie verzaubert vor den kleinen Baumgruppen auf und ab.
Lord Zwiebus und der Haluter hörten zunächst ein gebrochenes Murmeln, schwach und ausdruckslos.
Als ob Beschwörungen in einer fremden, archaischen Sprache gemurmelt würden. Und dann hörten sie etwas ganz anderes. Eine unverkennbare Melodie, die einem Sprechgesang ähnelte. Tausende von Wesen hier um den Energieschirm murmelten laut, machten Pausen, dazwischen waren einzelne dumpfe Schreie zu hören. Es war eine langgezogene Melodie, traurig und Ausdruck eines unfassbar langen Zeitraumes, in dem diese künstlichen Erzeugnisse einer gewissenlosen Rasse gewartet hatten.
Ein schauriger, inbrünstiger Gesang.
Er wurde lauter und lauter, schwoll an und wurde zu einem trotzigen, harten Lied, das die Landschaft erfüllte. Die Nackenhaare des Neandertalers sträubten sich, und er riss sich zusammen, um nicht von der allgemeinen Hysterie angesteckt zu werden.
Er verstand kein Wort, aber der Eindruck dieses Gesanges bohrte sich wie eine Nadel durch seinen Verstand. Es ging einem Höhepunkt zu, heiser und laut. Unbestimmbarer Text, unheimliche Tonfolgen.
Es war, als bliesen mächtige, tief gestimmte Posaunen, als schlüge jemand auf riesige Trommeln, in einem unerwartet unrhythmischen Schlag. Dann ging das Lied in einen Abgesang über, der ebenfalls nicht von dieser Welt war. Jahrtausende der Erinnerung, der Sagen lagen in diesem Gesang. Und in diesem Lied war die gesamte, trostlose Kultur dieser drei Rassen enthalten - eine Kultur, die sich aufs blanke Überleben und auf den Kampf gegen die klügeren und schöneren Lemurer erschöpft hatte. Bis zu diesem Augenblick.
Denn jetzt war der versprochene Gott gekommen.
Diese Welt war bisher traurig gewesen und dunkel, voller Krieg und voller Toter, Verwundeter und Sterbender, abgelöst von den wenigen Augenblicken der Zufriedenheit. Jetzt aber war der Schlüssel zur Herrschaft über diesen Erdteil gekommen. Das Tor befand sich hinter ihm.
Wer würde den Schlüssel drehen?
Würde das Tor aufbrechen?
Der Gesang brach ab und schlagartig erinnerte sich der Neandertaler wieder an seine Umwelt, an die Situation und seine Aufgabe.
Er drehte sich um.
Während sich die versammelten Präbios zerstreuten, in kleinen Gruppen zusammenfanden und in den aktivierenden Impulsen badeten, gewannen sie für eine kurze Stunde ihre Fruchtbarkeit und pflanzten sich inmitten der Strahlungsschauer fort. Innerhalb von Minuten war, bis auf den Zyklopen, Alaska und den Neandertaler, der freie Platz rings um die Kuppel leer.
Und in diesem Augenblick öffnete sich das Tor der Verheißung.
In dem Schutzschirm, der noch immer in sämtlichen Farben und deren Tönungen des Sonnenspektrums schimmerte, leuchtete und glühte, erschien eine bogenförmige Linie von kristallklarem Weiß. Diese Linie bewegte sich von links aufwärts, beschrieb einen Halbkreis und endete wieder rechts im Boden. Dann wurde der Raum innerhalb dieses halben Kreises ebenfalls weiß.
„Das Tor!" sagte der Haluter leise. „Hinein. Ich warte!"
Der Zyklop fasste den Terraner, dessen Gesicht in einem Strahlenschauer aufleuchtete wie eine kleine Nova, an den Schultern und drehte ihn behutsam herum. Der Neandertaler sah kurz weg, aber die Strahlung schien dem Präbio bisher nichts ausgemacht zu haben, auch jetzt zeigte er keine Spuren des Wahnsinns, der sonst jeden befiel, der in Alaskas Gesicht blickte.
Dann entfernte sich der Präbio und ließ davon.
Alaska ging die zehn Meter bis zu dem Tor, und der Neandertaler machte drei schnelle Sätze, die ihn bis dicht hinter den Terraner brachten. Zusammen mit Alaska Saedelaere durchschritt er die Trennlinie in der Energieblase. Sie gingen langsam auf die Betonwand zu, die sich nach beiden Seiten in einen geschlossenen Kreis krümmte. Die Bioaktivierungsfelder waren, das erkannte jetzt auch der Neandertaler, mit einer Pedostrahlung identisch.
Diese Pedostrahlung hatte den Cappin in Alaskas Gesicht verrückt und stark gemacht, dadurch wurde der Abwehrmajor übermannt. Dies war die einzig richtige Erklärung.
Das positronische Rechenzentrum jenseits der Betonwandungen hatte nun die Sextadim-Ausstrahlungen des Cappins angemessen, der nunmehr in Alaskas Gesicht tobte. Der Robot musste annehmen, einer seiner
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