043 - Das Beinhaus der Medusa
davon.
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Die alte, handgeschnitzte Uhr aus dem frühen 15. Jahrhundert tickte
monoton. Die beiden Gewichte über den ruckartig weiterlaufenden Holzrädern
schwangen rhythmisch hin und her.
Im Zimmer brannten nur wenige Kerzen. Inger Bornholm liebte Kerzenlicht.
Die Dämmerung, die sich auf diese Weise erzeugen ließ, war mit nichts zu
vergleichen. Auch nicht mit der Stimmung, die durch eine abgedeckte Stehlampe
entstand.
Nur Kerzenlicht brachte jene gewisse Wärme und Geborgenheit.
Inger Bornholm hatte das Kleid gewechselt. Sie trug jetzt ein ebenfalls
knöchellanges, der neuen, aus England kommenden Mode angepaßtes Maxikleid, das
ihre schlanke Gestalt imponierend zur Geltung brachte.
Inger Bornholm wirkte ungewöhnlich ruhig, beinahe heiter.
Ihre Augen leuchteten. Sie wartete auf die Rückkehr von Björn Eriksen.
Die Norwegerin lehnte sich aufatmend in den weichen, bequemen
Polstersessel. Sie streckte sich und reckte die langen, nackten Arme. Verträumt
starrte sie vor sich hin.
An den zum Teil mit Seidenstoffen bespannten Wänden hingen kostbare
Ölgemälde in schweren, handgeschnitzten und vergoldeten Rahmen. Dieser Raum
zeigte drei große Landschaftsbilder der holländischen Schule. Es waren ein
Vermeer und zwei van Ruysdaels.
Inger Bornholm störte es nicht, daß sich hier griechische Kunst mit der der
Holländer mischte. Es war für sie kein Stilbruch. Sie hatte es verstanden, sich
so einzurichten, wie es ihr Freude bereitete und gefiel. Und alles, was schön
war und Stil hatte, ließ sich irgendwie auch wieder stilvoll kombinieren.
Sie hob kaum merklich den Kopf, als sie die leisen, knirschenden Schritte
vor der Terrasse hörte. Inger Bornholm erhob sich und ging in den Wintergarten
hinüber, der nur durch eine verschiebbare Glaswand von diesem Wohnraum getrennt
war. Sie sah die dunkle, ein wenig gebeugte Gestalt.
Björn Eriksen!
Sie öffnete dem Mann, der aufatmend und fröstelnd hereinkam.
Seine Hände waren angeschmutzt und zerkratzt.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er nur.
Inger antwortete nicht darauf. Wortlos verfolgte sie auch, wie er in das
Badezimmer ging und sich wusch.
Sie stand in der Mitte des mit kostbaren, echten Teppichen ausgelegten
Raumes.
Björn Eriksen kam, die Krawatte öffnend, auf sie zu.
»Du siehst wieder wunderbar aus«, drang es wie ein Hauch überfeine Lippen.
Er konnte nicht umhin, ihr dieses Kompliment zu machen. »Warum aber, zum
Teufel, trägst du immer diesen verrückten Turban?«
Sie lächelte geheimnisvoll. »Das ist mein Mythos«, entgegnete sie leise.
»Und außerdem kleidet er mich, findest du nicht auch?« Sie drehte sich mit
wiegenden Hüften vor ihm wie ein Mannequin auf dem Laufsteg.
»Ja, das ist schon richtig. Er gibt deinem Gesicht einen eigenwilligen
Rahmen.«
Sie zog die Augenbrauen in die Höhe. »Vielleicht trage ich ihn auch nur, um
mein Aussehen in gewisser Weise zu korrigieren, Björn. Ohne den Turban würde es
noch länger wirken. Das sieht bei einer Frau meines Typs nicht besonders gut
aus.«
»Du verstehst es ausgezeichnet, deinen Typ zu unterstreichen und zur
Wirkung zu bringen, Inger.« Er kam auf sie zu und nahm sie in seine Arme. Die
Lippen der beiden Liebenden fanden sich zu einem langen Kuß.
Eriksen fühlte, wie die Spannung der letzten Stunde von ihm abfiel wie eine
Haut. Die Nähe dieser ungewöhnlichen Frau ließ alles vergessen. Inger
verzauberte und ließ ihn spüren, daß er wirklich lebte.
Seine Hände glitten über ihre Schultern den nackten Rücken hinab, während
sein Mund sich nicht von ihren Lippen löste.
Zärtlich erwiderte Inger seine Liebesgesten.
Als er zitternd seine Lippen von den ihren löste, fragte er:
»Ich weiß nicht mal, wie du wirklich aussiehst. Ich möchte dich sehen, wie
du wirklich bist! Wie sind deine Haare? Trägst du sie lang, kurz, sind sie
blond oder schwarz?« Er wollte den Turban lösen, aber sie wich mit einem
kleinen Schritt zurück.
»Es gab bisher nur ganz wenige, die mich zu sehen bekamen«, sagte sie
geheimnisvoll lächelnd. Inger Bornholm ging um die schwere, mit Seidenstoff
bezogene Couch herum.
»Ich glaube, ich habe es verdient, einer dieser Auserwählten zu sein,
Inger, und mehr noch, von nun an der einzige Mann in deinem Leben zu sein! Habe
ich dir meine Liebe nicht unter Beweis gestellt?«
»Doch, das hast du.«
Er kam abermals auf sie zu. Aber sie wich zurück.
»Wie würdest du mich gern sehen?« fragte sie, und der Schalk in ihren Augen
war nicht zu
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