043 - Das Beinhaus der Medusa
übersehen.
»Blond oder schwarz? Mit langen oder kurzen Haaren?«
»Vielleicht blond – das Haar hochgesteckt«, sagte er verträumt.
»Das dürfte mir stehen.«
»Du würdest fantastisch darin aussehen.«
»Ich habe zahlreiche Perücken. Eine moderne Frau hat heute die Möglichkeit,
sich recht vielseitig zurechtzumachen. Und jede neue Frisur gibt einer Frau ein
neues Gesicht. Und ich – so denkst du bestimmt – laufe immer mit diesem
scheußlichen Turban herum.«
»Er paßt zu deiner Art, dich zu kleiden und zu leben. – Wohin gehst du?«
Inger Bornhohn stand an der Tür, die in den angrenzenden Raum führte. »Ich
bin gleich zurück. Blond liebst du besonders, hast du gesagt, nicht wahr?«
Er nickte. »Ja. – Und was ich noch sagen wollte«, fügte er eilig hinzu.
»Ich möchte gern mal deine Ausstellung sehen.
Man sagt, daß du als Bildhauerin ein Phänomen bist.
Vorgestern auf der Party hat mir das jemand verraten. Du weißt, ich bin ein
Kunstnarr! Warum trittst du mit deinen Arbeiten nicht an die Öffentlichkeit?«
»Vielleicht sind sie so häßlich, daß man sie gar nicht zeigen kann …«
»Unsinn …«
»Aber darüber reden wir später. Laß dich erst mal überraschen!« Mit diesen
Worten verschwand sie im Ankleidezimmer und drehte den Schlüssel hinter sich
herum.
Björn Eriksen blieb allein zurück.
●
Als sie nach fünf Minuten zurückkam, trug sie eine Langhaarperücke, die bis
auf ihre Schultern reichte.
Björn Eriksen war sprachlos. »Warum zeigst du dich deinen Gästen niemals
so?« wollte er wissen.
Inger lächelte und trat näher. Ihre schlanken Finger kraulten seinen
Nacken. »Wer sagt dir, daß ich mich meinen Gästen noch nie so gezeigt habe? Du
darfst nicht vergessen, daß du erst zwei Partys in diesem Haus erlebt hast. Wir
kennen uns noch nicht sehr lange.«
»Lange genug, so glaube ich jedenfalls, um alles über dich zu erfahren!«
Björn Eriksen fand die ganze Situation keineswegs merkwürdig. Gerade jetzt nach
dem Mord an Gunnar Mjörk fühlte er sich noch mehr mit Inger Bornholm verbunden.
Sie hatte die Dinge nicht nur mitverschuldet, sondern ihm dabei geholfen. Er
hatte die Liebe einer ungewöhnlichen Frau gewonnen, deren Namen man in
Männerkreisen nur flüsternd und mit Ehrfurcht nannte. Wer einmal mit Inger
zusammengetroffen war, der mußte von ihr erzählen. Es hieß, daß die Männer ihr
auf den ersten Blick verfielen.
Björn Eriksen mußte sich jetzt, als er die heißen, langen Küsse der
Norwegerin erwiderte, im stillen eingestehen, daß er selbst darüber lachte, als
man ihm die Wirkung Ingers auf die Männer geschildert hatte. Aber es stimmte,
er hatte es am eigenen Leib verspürt. Er hatte aus Eifersucht einen Nebenbuhler
ausgeschaltet! Und doch kam er sich nicht vor wie ein Mörder. Alles schien
schon weit zurückzuliegen. Wie ein Traum, den er vor einiger Zeit geträumt,
verblaßten die Bilder und Eindrücke immer mehr. Sein Denken und Fühlen wurde
nur noch durch Inger bestimmt. Ein Leben an der Seite dieser Frau! Was würde er
dafür geben!
Er hatte sie gewonnen. Für immer?
Er wagte nicht, sich diese Frage selbst zu stellen. Zuviel hatte er über
die einsame Schloßherrin, die ein zurückgezogenes und doch gesellschaftliches
Leben führte, gehört. Es hieß, daß sie oft wochen- und monatelang in stiller
Einsamkeit verbrachte und sich ganz ihrer Arbeit widmete. Dann aber kam es wie
ein Rausch über sie. Sie mußte wieder Leben um sich haben, dann lud sie
Menschen ein, Bekannte und Fremde. Sie hatte ein eigenartiges System
entwickelt, das sich aber in jeder Hinsicht bewährte. Wenn Inger Bornholm ein
Fest organisierte, dann hatte es nicht nur Hand und Fuß, sondern Inger ließ
sich auch immer etwas Neues einfallen, um nette und markante Persönlichkeiten –
Künstler und Schriftsteller, Maler und Filmschaffende, Politiker oder Leute aus
dem Wirtschaftsleben
– um sich zu versammeln. Ihre engsten Freunde und Bekannten wurden bei den
Einladungen aufgefordert, mindestens eine neue Person in den Kreis der
Partygäste mitzubringen.
Das schon brachte Abwechslung in die stattfindenden Feste.
Wenn Inger Bornholm sich entschloß, eine neue Party zu geben, dann wollte
sie auch neue Gesichter um sich sehen. Sie selbst verließ äußerst selten das
kleine Schloß, das vor über hundert Jahren von einem ihrer Vorfahren
väterlicherseits übernommen worden war. Inger holte sich die Menschen in ihr
Heim, studierte sie und fertigte – auch das
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