043 - Das Beinhaus der Medusa
ihn sich erlauben konnte.
Diesmal aber entsprang dieser Gag dem nackten Selbsterhaltungstrieb. Es gab
für sie keine Möglichkeit, einen Fremden namens Larry Brent persönlich
einzuladen. Aber Brent war seit einigen Tagen ständiger Begleiter des
Sensationsreporters Haydaal. Beide verfolgten offensichtlich die gleiche Spur.
Das war eine einfache Rechnung. In dem Augenblick, da sie einem Eingeladenen
die Möglichkeit bot, einen anderen Außenstehenden mitzubringen, würde gerade
Thor Haydaal von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Und wenn ihr Verdacht
berechtigt war, dann würde dieser Außenstehende in diesem besonderen Fall
garantiert Larry Brent sein.
Inger Bornholm lud diesmal ungewöhnlich viele Gäste ein.
Das Haus sollte voll werden. Um so weniger würde dann im allgemeinen Trubel
auffallen, wenn der eine oder andere frühzeitig die Gesellschaft verließ. Drei
Personen jedoch würden in jener Partynacht nicht mehr lebend das Schloß
verlassen: Berndson, Haydaal und Brent! Inger Bornholm hatte ihren Plan bis in
alle Einzelheiten festgelegt. Auch die Dinge, die nachfolgen würden, waren von
ihr sorgfältig überlegt.
Noch am gleichen Morgen rief sie ihren Makler an. »Bitte bereiten Sie die
Verträge zur Unterschrift vor. Ich gebe am kommenden Wochenende eine letzte
große Party. Wie ich gerade feststellen mußte, habe ich Ihnen keine
Einladungskarte geschickt. Ich hole das hiermit mündlich nach.«
»Sie haben sich also wirklich entschlossen, dieses günstige Schlößchen in
den Karpaten zu kaufen?« Er konnte es noch gar nicht fassen.
»Ja, endgültig! Allerdings muß ich Sie zu strengstem Stillschweigen
verpflichten.«
»Das versteht sich von selbst, gnädige Frau.«
Inger Bornholm legte auf. Auch das war erledigt. In den wildromantischen
Karpaten würde sie in einem anderen Land ein neues Leben beginnen, sobald die
Dinge hier abgeschlossen waren.
●
Larry hatte in dieser Nacht kaum ein Auge geschlossen. Er war immer nur
kurz eingenickt.
Gegen sieben Uhr entschloß er sich, aufzustehen und sich anzukleiden.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Treffpunkt mit Tom Kvaale hatte er
noch mit Kommissar Berndson gesprochen, der Thor Haydaal zum Anwesen Marnes
begleitete, um dort die Statue wieder an Ort und Stelle zu schaffen. Haydaal
(so Berndson) hätte später gesagt, er hätte noch in seiner Stadtwohnung in
Kjerringöy zu tun.
In dieser Wohnung hatte Larry ebenfalls angerufen. Ohne Erfolg.
Zäh vergingen an diesem Morgen die Minuten. Kurz nach sieben – eine Stunde
früher als erwartet – erhielt X-RAY-3
einen Telefonanruf aus Oslo. Professor Sörensen war an der Strippe und
teilte dem PSA-Agent das Ergebnis der Steinproben mit.
»… ein Irrtum ist ausgeschlossen, Mister Brent! Es handelt sich eindeutig
um ausgetrocknetes, menschliches Gewebe, dem folgende Substanzen entzogen
wurden …« Hier folgte ein Katalog von Fachwörtern und Begriffen, die einem
Laien wenig sagten.
»Wie kann es zu einer solchen intensiven Austrocknung der Haut kommen,
Professor?« wollte Larry wissen.
»Tja, darüber lassen sich vorerst nur Vermutungen anstellen, Mister Brent«,
klang es zurück. »Wir wissen zwar, was dem Gewebe fehlt, aber wir können nicht
feststellen, wie es ihm entzogen wurde. Ich stehe hier vor völlig neuen
Erkenntnissen.
Sicher haben Sie Verständnis dafür, wenn ich in Anbetracht der kurzen
Untersuchungszeit, die mir zur Verfügung stand, kein ausgedehntes Wissen
erwerben konnte. Viele Versuchsreihen sind noch notwendig. Es ist ein äußerst
interessantes Phänomen, mit dem Sie mich da konfrontieren. Es gibt nichts
Vergleichbares in medizinischen Fachbüchern.«
»Ist es möglich, daß ein Schock oder ein panikartiger Zustand eine solche
Veränderung des lebenden, gesunden Gewebes hervorrufen kann, Professor?«
Es dauerte eine geraume Zeit, ehe Sörensen nachdenklich antwortete. »Das
wäre eine Untersuchung und eine Überprüfung wert. Praktisch halte ich es für
ausgeschlossen, aber theoretisch hat dieser Gedanke etwas für sich. Es sind uns
in der medizinischen Fachliteratur Fälle bekannt, wo ein gesunder, normaler
Mensch von einer Stunde zur anderen durch einen Schock völlig verändert wurde.
Es kam zu Lähmungen, zu Sprachstörungen und unerklärlichen Nervenkrankheiten.
Der menschliche Organismus ist eine äußerst komplizierte Maschinerie, Mister
Brent! Nach Schock-und Angstzuständen ist es schon vorgekommen, daß Personen in
eine Art Tiefschlaf fielen und nicht
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