043 - Das Beinhaus der Medusa
auf einem der glitschigen Steine aus und stürzte ins
Wasser.
Stöhnend richtete sie sich wieder auf. Ihr kurzes, weißes Hemd war völlig
durchnäßt und lag wie angeklatscht auf ihrem wohlgeformten Körper. Deutlich
zeichneten sich die vollen Rundungen ihrer Hüften ab, die langen, festen
Schenkel, die kleinen Brüste. Das Mädchen hastete in der Dunkelheit weiter und
folgte dem Lauf des gurgelnden Baches, der tiefer und breiter wurde. Schon
spürte Elin Holtsen die kalte Herbstluft.
Der modrige Geruch wurde schwächer. Irgendwo in der Nähe befand sich ein
Ausgang.
Der Höhleneingang wölbte sich über ihr wie ein bizarres Tor zu einer
anderen Welt. Der kleine Bach stürzte sprudelnd über schwarze Felsen und floß
in einem schmalen Bett, das zu beiden Seiten von Sträuchern und dornigem
Gestrüpp umstanden war.
Die kalte Luft traf Elin Holtsen wie ein böser Hauch.
Wie ein Wunder schien es ihr, als sie den abgestellten Wagen neben der
Felswand erblickte. Das Auto, mit dem Inger Bornholm und Erik Knudvil gekommen
waren!
Elin Holtsen erkannte die einmalige Chance, die sich ihr bot.
Nun konnte sie auf dem schnellsten Weg nach Kjerringöy fahren. Wenn sie der
Polizei ihre Geschichte erzählte, dann mußte sie zwar damit rechnen, daß man
sie zu einem Psychiater schleppte, aber das würde sie noch verkraften. Dort
zumindest befand sie sich erst mal in Sicherheit und brauchte nicht den unheimlichen
Tod zu fürchten, der vor ihren Augen Erik Knudvil ereilt hatte, ohne daß sie,
Elin, die Chance gehabt hätte einzugreifen und das scheußliche Verbrechen zu
verhindern.
Elin Holtsen riß die Wagentür auf. Sie wollte sich vergewissern, ob der
Zündschlüssel steckte! Das Mädchen setzte sich hinter das Steuer, zog die
Wagentür zu und warf einen Blick zurück. Noch keine Spur von ihrer Verfolgerin!
Sie griff nach dem Zündschlüssel. Im gleichen Augenblick sagte die Stimme
hinter ihr. »Man braucht sich manchmal gar nicht anzustrengen! Das Opfer rennt
von ganz allein in die Falle! Unüberlegt und blindlings …!«
Elin Holtsen schrie gellend auf, als ihr Blick in den Rückspiegel fiel.
Auf dem Rücksitz saß – Inger Bornholm – Medusa!
Das Gewimmel der ekelerregenden Schlangen, die aus ihrem Schädel krochen,
näherte sich dem Gesicht Elin Holtsens. Die Gepeinigte schrie markerschütternd,
wollte sich noch abwenden und diese tödliche Falle, in die sie trotz aller
Vorsicht geraten war, noch verlassen.
Die schmalen, zarten Hände Inger Bornholms griffen zu und rissen das
Gesicht Elin Holtsens herum. In den Augen der Verfolgten stand der nackte
Wahnsinn.
Das Gesicht der scheußlichen Medusa war nur wenige Zentimeter von ihr
entfernt. Die schleimigen, fingerdicken, reptilähnlichen Lebewesen kringelten
und bewegten sich und berührten ihr kaltes, vor Angst verzerrtes Gesicht.
Elin Holtsens Körper spannte sich wie im Krampf. Sie merkte nicht, wie es
zu Ende ging.
●
Medusa schob den versteinerten Körper zur Seite. Wieder hatte sie einen
Sieg errungen. Sie wußte, sie war unschlagbar.
Mit unbewegtem Gesicht steuerte sie das Kabriolett um den Felsvorsprung
herum, fuhr wenig später in den stillen Schloßhof und parkte vor der Terrasse.
Durch die Tür schleifte sie den Körper zu der Falltür und schob ihn schließlich
die schiefe Ebene hinunter. Der verkrampfte Körper, auf dem noch immer das
völlig durchnäßte Nachthemd klebte, landete im Gewölbe der versteinerten Toten.
Die Dienerschaft schlief noch immer. Draußen zeigte sich das erste
verwaschene Dämmerlicht des beginnenden Tages hinter trüben Wolken und
aufsteigenden Nebeln.
Medusa legte sich nicht schlafe n. Sie schrieb Einladungskarten.
Für das bevorstehende Wochenende kündete sie einer Reihe von Freunden und
Bekannten, aber auch Außenstehenden und Neugierigen, die schon von ihren
ungewöhnlichen Parties gehört hatten und selbst gern einmal teilnehmen wollten,
eine Sensation an.
Sie lud zu einer Überraschungsparty ein.
Unter den geladenen Gästen waren die Namen Berndson und Thor Haydaal zu
lesen. In den handschriftlichen Einladungen wurde ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß jeder Eingeladene schon die Pflicht hätte, etwas zu der
vorhergesehenen Überraschung beizutragen.
»Bringen Sie irgend jemand mit, einen Freund, eine Freundin, einen
Bekannten oder Unbekannten. Irgend jemand, der bisher nicht das Vergnügen
hatte, in meinem Haus zu Gast zu sein. – Inger Bornholm.«
Dies war einer der typischen Gags, wie nur sie
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