043 - Das Beinhaus der Medusa
hob
langsam den Deckel in die Höhe und lauschte in die Nacht. Alles war still.
Die Gäste waren vollzählig versammelt.
Kvaale hatte die Dinge genau verfolgt. Vorsichtig öffnete er den Kofferraum
ganz und sprang hinaus. Sekundenlang blieb er hinter den schwarzen Stämmen
stehen und strich sich den Smoking glatt, der dem Larry Brents genau glich. In
nichts unterschied sich Kvaale an diesem Abend von dem PSA-Agenten. Der
Maskenbildner hatte ganze Arbeit geleistet.
Selbst Iwan Kunaritschew hätte die Täuschung nicht bemerkt.
Mit einem elastischen, flexiblen Kunstgriff waren die Mundpartie und die
Nase verändert worden. Larry hatte seinen Helfer so instruiert, daß Kvaale sich
selbst die Eigenarten in der Sprechweise und die Bewegungen des Amerikaners
eingeübt hatte. Mit der Sprache haperte es noch ein wenig.
Kvaale konnte nicht ganz ablegen, daß er Norweger war. Aber an der äußeren
Erscheinung gab es nichts zu rütteln. Larry Brents Zwillingsbruder schien sich
in diesem Moment aus dem Schatten zu lösen.
Kvaale lief um das Schloß herum. Sein Ziel war die breite Terrasse. Hinter
den zugezogenen Vorhängen an den Fenstern des ersten Stocks sah er die
Partygäste als silhouettengleiche Schemen. Kvaale kannte den Grundriß des
Schlosses. Thor Haydaal hatte eine entsprechende Skizze zwischen den Papieren
des Schriftstellers Gunnar Mjörk gefunden und mitgebracht. Diese Skizze hatte
ihnen unbezahlbare Dienste geleistet.
Der Grundriß des Hauses war allen vertraut. Kvaale hätte sich mit
geschlossenen Augen bewegen können.
Das Laub raschelte unter seinen Füßen, als er seitlich auf die Terrasse
zukam. Wie ein Schatten huschte der Mann auf die dunkle Tür zu. Er legte die
Hand auf die Klinke. Lautlos wich die Terrassentür zurück. Larry Brent hatte
bereits Gelegenheit gefunden, die Tür zu öffnen. Er wartete in einer dunklen
Nische auf sein Double.
»Tom«, flüsterte er kaum hörbar und huschte auf den Mann zu, der ihm aufs
Haar glich.
»Larry?« Tom Kvaale strich sich mit einer mechanischen Bewegung das weiche,
blonde Haar aus der Stirn.
Larry lachte leise, als er das sah. »Spielen Sie Ihre Rolle gut da oben«,
meinte der PSA-Agent mit einem Blick zur Decke.
»Ich konnte unbemerkt dem Trubel entkommen. Die Party läuft auf vollen
Touren.«
»Man hört es an der Musik und den vergnügten Stimmen. Ist noch etwas zu
essen da?«
»Das kalte Büfett reicht für fünfzig Personen.« Larry Brent weihte sein
Double mit kurzen Worten über die Ereignisse der letzten Stunde ein. »Inger
Bornholm hat eine besondere Schwäche für mich. Sie brauchen nicht viel zu
reden. Hüten Sie sich davor!«
Tom Kvaale grinste. »Ich fange an, die Rolle zu genießen, Larry.«
»Vergessen Sie dabei niemals, daß Sie dieser Genuß das Leben kosten kann,
Tom! Und nun gehen Sie hoch! Kommen Sie von der linken Seite des Ganges! Da liegen
die Toiletten.
Bleiben Sie ruhig gelegentlich vor einem der zahlreichen Bilder stehen. Ich
habe mich als sehr kunstfreudig erwiesen.
Übrigens spreche ich Inger Bornholm mit dem Vornamen an.«
»Es wird schon schiefgehen«. Der sympathische Norweger ging zur Treppe vor
und huschte auf Zehenspitzen hinauf.
Larry Brent sah, wie Tom Kvaale um die Ecke verschwand. X-RAY-3 wandte sich
um und begab sich in den großen Saal der Parterrewohnung, um die Privatgemächer
Inger Bornholms einer näheren Inspektion zu unterziehen. Sein Gefühl sagte ihm,
daß er nicht mehr allzuviel Zeit hatte. Er hatte vorhin Inger Bornholm längere
Zeit mit Kommissar Berndson zusammenstehen sehen. Da er, Larry, sich in der
Nähe befand, hatte er einige Worte mitbekommen.
Inger Bornholm wies darauf hin, daß sie etwas Persönliches über das
Schicksal Gunnar Mjörks mitzuteilen wisse. »Dafür allerdings möchte ich mit
Ihnen unter vier Augen sprechen.«
Wo würde dieses Gespräch stattfinden?
Larry Brent war bereit, die Spur Inger Bornholms aufzunehmen, sobald Tom
Kvaale, der jetzt in den oberen Räumen sein mußte, ihm das Zeichen gab. Kvaale
war – ebenso wie er – mit einem kleinen Signalfunkgerät ausgestattet, das die
Größe einer Streichholzschachtel hatte.
Instinktiv fühlte Larry, daß Inger Bornholm ihre Netze bereits auslegte.
Sie würde zum ersten Angriff übergehen, sobald sie sah, daß alle ihre Gäste im
großen Festsaal beisammen waren und im allgemeinen Trubel niemand auffiel, daß
sie sich mit Berndson absetzte.
Der Kommissar sollte das erste Opfer sein.
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Tom Kvaale kam von den
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