043 - Das Beinhaus der Medusa
Toilettentüren den Gang herunter, als Inger Bornholm
an der breiten, weitgeöffneten Saaltür auftauchte.
Die Norwegerin unterhielt sich angeregt mit einem der Gäste.
Sie warf einen Blick auf den Gang hinaus und erspähte den angeblichen Larry
Brent, der vor einer Landschaft Ruysdaels stand und scheinbar interessiert das
Gemälde betrachtete.
Inger Bornholm ließ ihren jungen Gesprächspartner, einen schlanken,
bleichen Burschen mit fast schulterlangen Haaren stehen. Dieser Gast war der
Sohn eines Kosmetikfabrikanten.
Er hatte etwas Gebügeltes und Geschniegeltes an sich und roch meterweit
nach einem starken Herren- Eau de Cologne. Der junge Bursche strich den ganzen
Abend schon um Inger Bornholm herum. Offenbar erhoffte er, ihre Gunst zu
erlangen.
Inger Bornholm trat zu Tom Kvaale.
Sie seufzte. »Ich habe es ja gewußt.«
Sie kam ihm auf Tuchfühlung nahe. »Ich hatte Ihnen doch versprochen, daß
ich später mit Ihnen einen kleinen Rundgang durch meine private Galerie machen
werde, Larry. Interessiere ich Sie mehr oder meine Gemäldesammlung? – Im
übrigen finde ich es nicht nett von Ihnen, mich so lange allein zu lassen. Gewisse
junge Männer umschwirren mich wie die Motten das Licht. Dabei habe ich
eigentlich geglaubt …« Sie sprach nicht weiter. Ihre zarten, warmen Hände
legten sich um seinen Hals.
Tom Kvaale befolgte den Hinweis Larry Brents, daß küssen besser sei als
reden. Seine Lippen preßten sich auf den verlockend sich öffnenden Mund. Inger
Bornholm drängte sich an ihn. Sie war erregt, ganz Hingabe, und Tom Kvaale
merkte, wie der Funke übersprang. Das Blut rann rascher durch seine Adern, als
er diese faszinierende Frau in seinen Armen hielt.
Dennoch behielt er einen klaren Kopf. Es stand zuviel auf dem Spiel, und er
durfte Larry Brent nicht enttäuschen. Es ging darum, den entscheidenden Beweis zu
erbringen, daß Inger Bornholm eine unheimliche Mörderin war, auf deren Konto
mehr als ein Verbrechen ging.
Sie löste sich langsam von den Lippen. Sie bemerkte nicht, daß der falsche
Larry Brent in Aktion getreten war. Selbst die Duftnote des Rasierwassers
stimmte. Kvaale benutzte an diesem Abend die gleiche Marke wie X-RAY-3.
»Wir müssen zurück in den Festsaal. Meine Gäste werden mich vermissen. Ich
freue mich auf den Abend mit Ihnen, Larry – später, wenn alle anderen gegangen
sind.« Diese Einladung in ihr Bett sprach sie mit der größten
Selbstverständlichkeit aus.
Tom nickte lächelnd. »Ich auch, Inger.« Er sprach leise, und seine Augen
waren verschleiert.
Gemeinsam mit der hübschen Gastgeberin betrat er den Festsaal. In dem
großen, angrenzenden Raum drehten sich die Paare. Andere Gäste standen oder
saßen in Gruppen zusammen, wieder andere taten sich am kalten Büfett gütlich.
Tom erblickte Thor Haydaal, der schon einige Gläser zuviel getrunken zu
haben schien. Er befand sich in bester Stimmung und Gesellschaft. Drei
sexsprühende Mädchen saßen mit ihm auf dem breiten Diwan in der Ecke und hingen
an ihm wie die Kletten. Die eine trug ein schwarzes, völlig durchsichtiges
Kleid, und es war zu erkennen, daß sie darunter keinen BH trug. Der knappe,
spitzenbesetzte Schlüpfer war sehr hoch geschnitten und ließ die langen, festen
Schenkel noch länger erscheinen.
Haydaal genoß die Situation.
Tom Kvaale griff nach dem Sektglas, das Larry Brent gehörte. Der Standort
war ihm von dem Amerikaner genau angegeben worden.
Inger Bornhohn wurde von einer älteren, sehr vornehm wirkenden Dame auf die
Seite gezogen und in ein. Gespräch verwickelt.
Tom Kvaale konnte einem gleich darauf auftauchenden weiblichen Wesen, einer
charmanten Achtzehnjährigen, nicht entkommen, die, wie sie sagte, sich schon
den ganzen Abend darauf freue, auch mal mit ihm einen Tanz zu machen.
Im angrenzenden, raffiniert in Dämmerlicht gehaltenen Saal, tanzte es sich
besonders gut, und Kvaale umfaßte den jungen, frischen Körper, der sich an ihn
drängte.
Eine Viertelstunde später kam er aus dem Saal zurück. Mit einem Rundblick
vergewisserte er sich, ob Berndson und Haydaal noch da waren. Der Reporter
hockte immer noch auf dem Diwan. Er fühlte sich als Hahn im Korb. Berndson aber
war verschwunden. Und auch Inger Bornhohn fehlte.
Alles wies darauf hin, daß Larry Brents Plan sich bis in die letzten
Details erfüllte. Aber die Rechnung enthielt doch mehrere Unbekannte.
Die Dinge entwickelten sich entgegen der Absicht Larrys plötzlich in einem
irrsinnigen Tempo.
●
X-RAY-3
Weitere Kostenlose Bücher