043 - Der Mann von Marokko
der im Sattel hin und her taumelte, als ob er betrunken sei, erkannte er sogleich wieder.
Hastig eilte er aus dem Haus und wartete an der offenen Tür, bis Reverend Aylmer Bannockwaite ankam.
Der Mann wäre beinahe vom Pferd gefallen, aber seine Begleitet sprangen ab und eilten an seine Seite.
Bannockwaite wandte sein blutunterlaufenes Gesicht Hamon zu, übersah dessen ausgestreckte Hand, zog ein Monokel aus seiner Westentasche und klemmte es ins Auge.
»Wer sind Sie und was wollen Sie?« fragte er gereizt. »Sie haben mich quer durch dieses verfluchte Land schleppen lassen und mich in meiner Ruhe gestört - zum Teufel, was wollen Sie von mir?«
»Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe, Mr. Bannockwaite«, erklärte Ralph höflich.
»Sehr nett gesagt.«
Eine große fleischige Hand drückte schwach Hamons Rechte.
»Sehr schön gesagt, mein Junge. Also, wenn Sie mich jetzt ein wenig ausruhen lassen und ich später eine Pfeife Hanf rauchen kann, um meine Nerven zu beruhigen, bin ich Ihr Freund. Und wenn Sie mir dann noch etwas von dem köstlichen Marsala zu trinken geben und mir eine blumige Zigarre anbieten, bin ich Ihr Sklave mit Leib und Seele!«
Joan hatte von ihrem Fenster aus die heruntergekommene Gestalt beobachtet und vermutete sofort, wer es war. Was war aus diesem schlanken, großen Mann mit dem asketischen Gesicht geworden! Sie hatte ihn nur zweimal gesehen, aber sie wußte bestimmt, daß er es war. Etwas an seinem Gang, an seinen Bewegungen erinnerte sie an früher. Sie starrte ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dann setzte sie sich hin, hielt den Kopf in den Händen und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.
Dann war er also nicht gestorben! Der wählerische, halbverrückte Pastor, der Abgott der Schule von Hulston, der Gründer dieser absurden Geheimgesellschaften kam nun in Schmutz und Lumpen daher.
Wie mochte Ralph Hamon ihn gefunden haben? Bannockwaite würde sie trauen, das wußte sie. Diese merkwürdige Situation mußte ihn so fesseln, daß er keinen Augenblick zögern würde, Hamons Auftrag auszuführen.
Ralph erschien auch am Abend nicht bei ihr, obgleich sie erwartet hatte, daß er den heruntergekommenen Geistlichen zu ihr bringen würde. Ihr Schlafzimmer stieß an den großen Wohnsalon und war geräumig und luftig. Gegen Mitternacht kleidete sie sich aus und hüllte sich in den langen Mantel aus weicher Seide, den ihr die junge Araberin gebracht hatte. Sie zog einen Stuhl ans Fenster, löschte das Licht und schob die Vorhänge zurück. Aber plötzlich schrie sie laut auf und wäre beinahe vor Schreck zusammengebrochen, denn durch die Eisengitter starrte ein Gesicht mit langem Bart, einer großen Hakennase und rot unterlaufenen Augen zu ihr herein. Es war der Bettler. Das lange Messer, das er in den Händen hielt, blitzte im Mondlicht auf.
52
Er hörte den Schrei und verschwand schnell nach unten, so daß Joan ihn nicht mehr sehen konnte. Sie sprang auf und hielt sich am Fensterbrett fest. Ihr Herz schlug wild. Wer mochte er sein, und was wollte er von ihr? Im Haus herrschte tiefes Schweigen. Niemand hatte sie gehört, denn die Mauern waren sehr stark.
Es kostete sie einige Überwindung, hinauszuschauen, soweit es ihr das Eisengitter gestattete. Der kleine Garten lag friedlich und geheimnisvoll im Mondschein vor ihr, und lange Schatten fielen quer über den Boden. Merkwürdige Gestalten schienen aufzutauchen und wieder zu verschwinden. Dann sah sie den Mann, der sich vorsichtig zur Mauer schlich. Im nächsten Augenblick war er außer Sicht.
Warum brachte sie nur diesen mitternächtlichen Vagabunden mit Sadi Hafis in Verbindung? War er irgendein Agent oder Beauftragter des schlauen Arabers?
Der Tag graute schon, als sie sich niederlegte, und als sie spät am Vormittag erwachte, blieb ihr keine Zeit, über ihr nächtliches Erlebnis nachzudenken. Kaum hatte sie sich angezogen und ihr Frühstück beendet, als Ralph eintrat. Er war lebhaft und begrüßte sie mit strahlendem Lächeln.
»Joan, ich möchte Sie bitten, jetzt Reverend Aylmer Bannockwaite zu empfangen. Sie werden ihn allerdings sehr verändert finden. Er hat zugestimmt, die Trauung vorzunehmen, die hoffentlich der Beginn einer neuen und schönen Zeit für uns beide ist.«
»Wann wollen Sie denn -«
»Noch heute.«
Entsetzt sah sie ihn an.
»Sie müssen mir Zeit lassen, Mr. Hamon! Morgen -«
»Heute«, bestand er. »Ich will nicht noch einen weiteren Tag verlieren. Ich kenne meinen
Weitere Kostenlose Bücher