043 - Der Mann von Marokko
Wacholderstrauches. Ihr Gesicht und ihr Hals waren angefeuchtet, und ein Gefäß mit Wasser stand an ihrer Seite. Aber der alte Bettler war verschwunden. Erst als sie sich auf die Ellbogen stützte, sah sie, daß er sich mit seinem unscheinbaren, häßlichen Pferd beschäftigte. Was sollte sie tun? Unsicher richtete sie sich auf und schaute sich entsetzt um. Ein Entkommen war unmöglich.
Fernab im Tal entdeckte sie eine Staubwolke. Mehrere Reiter näherten sich, und als sie ihre Augen anstrengte, erkannte sie weiße Arabergewänder. Stahl und Waffen blitzten in der Sonne. Es waren Mauren - wahrscheinlich kehrte Sadi Hafis zurück. Von dieser Seite aus würde ihr keine Hilfe kommen.
Wieder schaute sie zu dem Bettler hinüber. Der Alte wickelte eben seinen Kopf und den größten Teil seines Gesichtes in einen Turban von Lumpen, bis nur noch sein eisgrauer Bart und die Spitze seiner roten Hakennase sichtbar waren.
Dann kam er auf sie zu und führte das Pferd herbei. Sie gehorchte seinem Wink ohne Widerrede und stieg in den Sattel. Als er vorwärtsschritt, hielt er die Hand am Zügel, und sie merkte, daß er einen Weg einschlug, der von der Hauptstraße nach Tanger in rechtem Winkel abbog. Mehrere Male schaute er zurück, zuerst nach dem Haus, dann nach den schnellen Reitern, die man jetzt deutlich erkennen konnte. Es war Sadi, der an der Spitze der Schar ritt. Alle waren bewaffnet, jeder der Männer hatte ein Gewehr über der Schulter hängen.
Plötzlich änderte der Bettler die Richtung und führte das Pferd einen Hügel hinunter zu einer Stelle, die man vom Garten aus nicht mehr sehen konnte. Mehrmals blickte er sich um. Anscheinend fürchtete er, daß Hamon zur Vernunft kommen und seinen Wahnsinn bereuen würde. Schließlich führte er das Pferd in das Bett eines kleinen Baches und ließ es im Wasser gehen. Dann hörte sie einen Schuß, gleich darauf einen zweiten. Das Echo kam von den Hügeln zurück. Ängstlich schaute sie auf den alten Mann.
»Was war das?« fragte sie auf spanisch. Er schüttelte nur den Kopf.
Wieder fiel ein Schuß. Jetzt vermutete Joan den Grund. Wahrscheinlich wollten die Leute auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Bettlers erregen und ihn zurückrufen. Er dachte wohl dasselbe, denn er schlug mit den Zügeln auf den Hals des Tieres, das in leichten Trab fiel. Der Alte selbst rannte dicht neben seinem Pferd her.
Nach einer Weile kamen sie zu einem kleinen Gehölz, wo er das Tier versteckte. Er gab ihr ein Zeichen, zu warten, und ging zu Fuß zurück. Erst nach einer halben Stunde kam er wieder, reichte ihr die Hand und hob sie aus dem Sattel. Sie schloß die Augen, um sein Gesicht nicht sehen zu müssen. Nach einiger Zeit brachte er ihr Wasser vom Fluß und öffnete ein kleines Bündel, in dem er Nahrungsmittel mit sich führte. Aber sie trank nur gierig das frische Wasser. Auch war sie so erschöpft, daß sie willenlos auf die Lumpen sank, die er für sie ausbreitete. Sie vergaß, daß das Schicksal sie zur Frau eines Bettlers gemacht hatte, und fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.
Ralph Hamon kauerte in einem Sessel und fühlte sich elend und krank. Die Erregung und Wut, die ihn zu dieser Wahnsinnstat getrieben hatten, waren verraucht, und er zitterte nun an allen Gliedern. Von seinem Fenster aus konnte er sehen, wie der Bettler Joan die Hügel hinunterführte. Er sprang auf. Der Fehler mußte so schnell als möglich wieder gutgemacht werden.
Er rief einen alten, treuen Diener zu sich.
»Ahab, du kennst doch den Bettler, der auf dem Pferd reitet?«
»Ja, Herr.«
»Er hat die Frau, die meinem Herzen nahesteht, mit sich genommen. Geh und bringe sie mir zurück - dem Alten aber gib dieses Geld.« Er nahm einige Banknoten aus der Tasche und gab sie ihm. »Wenn er dir Widerstand leistet, töte ihn!« Ralph stieg ins oberste Geschoß hinauf, um von dort aus seinen Boten zu überwachen. Dabei entdeckte er die Reiter, die auf dem gewundenen Weg den Hügel heraufkamen.
»Sadi«, murmelte er und wußte, was dieser Besuch zu bedeuten hatte.
Es war zu spät, den Boten zurückzurufen, und er eilte ans Tor, um seinen ehemaligen Agenten zu begrüßen. Sadi Hafis sprang aus dem Sattel. Sein Ton und seine Miene hatten sich vollkommen geändert. Er war nicht länger der höfliche, gewandte Zögling der Missionsschule, sondern ein anmaßender arabischer Häuptling.
»Sie wissen, warum ich gekommen bin«, sagte er und stemmte die Hände in die Hüften. »Wo ist sie? Ich will sie haben! Ich vermute,
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