043 - Der Mann von Marokko
haben.«
»Ich werde Sie später vorstellen, aber erst muß ich noch etwas anderes erledigen«, entgegnete Ralph kurz.
Die andere Aufgabe bestand darin, seine Frau zu sprechen, die er acht Jahre nicht gesehen hatte. Als er in ihr Zimmer trat, wollte er nicht glauben, daß diese dicke, düstere Frau einst ein schönes maurisches Mädchen von schlankem, wundervollem Wuchs gewesen war.
»So bist du doch endlich gekommen?« fragte sie hart. »All diese Jahre habe ich nichts von dir gehört oder gesehen.«
»Hast du etwa Hunger gelitten?« erwiderte er kühl. »Hast du kein Dach über dem Kopf gehabt?«
»Wer ist dieses Mädchen?«
»Sie wird bald meine Frau sein.«
Die Maurin sprang auf und zitterte vor Zorn.
»Warum hast du mich dann hierherholen lassen?« rief sie aufgebracht? »Soll ich wie eine Närrin vor meinen Dienerinnen dastehen? Warum hast du mich nicht in Mogador gelassen? Dort hatte ich wenigstens Freunde und Bekannte. Hier bin ich mitten in der Wildnis lebendig begraben. Soll ich deinem neuen Weib vielleicht als Sklavin dienen? Das tue ich niemals, Hamon!«
Er fühlte sich nun sicher.
»Du kannst nächste Woche wieder nach Mogador zurückkehren. Ich habe dich aus einem besonderen Grund hierherkommen lassen.«
Sie war hergebracht worden, damit Joan sie sehen und ihre eigene Lage besser beurteilen solle.
Er ging zu Sadi zurück.
»Ich gehe jetzt zu meiner Dame. Später werde ich Sie vorstellen«
Er klopfte an die Tür des Wohnzimmers, und als keine Antwort kam, trat er ein. Joan saß vor dem großen Flügel und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Sie hatte sich gerade an das Instrument gesetzt, als Hamon in der Tür erschien.
»Wie geht es Ihnen - fühlen Sie sich schon ein wenig heimisch?« fragte er.
Eine Weile blieb er stehen und bewunderte ihre schlanke Gestalt und ihre ruhigen, gleichmäßigen Züge. Sie schenkte ihm überhaupt keine Beachtung. Er hätte ebensogut ein Diener im Herrenhaus von Creith sein können, der auf ihr Klingelzeichen erschienen war.
»Ist es hier nicht herrlich?« fuhr er fort. »Dies ist einer der schönsten Plätze Marokkos. Eine Dame könnte es hier schon ein oder zwei Jahre aushalten. Haben Sie meine Frau Nummer eins gesehen?«
Er setzte sich und steckte sich eine Zigarre an.
»Wollen Sie mit Nummer eins Mrs. Hamon bezeichnen?« fragte sie langsam.
Er nickte.
Sie hatte Ralph Hamon noch nie so vergnügt gesehen. Er machte einen so freien und fröhlichen Eindruck, als ob alle Sorgen von ihm abgefallen wären.
»Sie müssen mir erzählen, wie man hier Ehen schließt. Ich fürchte, daß ich darüber vollkommen unwissend bin.«
»Hören Sie zu, Joan. Ich werde Sie nicht nach maurischem Ritual heiraten. Es wird eine christliche Eheschließung werden, und ein wirklicher Geistlicher der englischen Kirche wird uns trauen. Ich habe Sie vorhin gefragt, ob Sie meine maurische Frau gesehen haben. Was denken Sie von ihr?«
Joan erwiderte nichts. Sie bemühte sich, seine Absicht zu erkennen.
»Was denken Sie von ihr?« fragte er noch einmal.
»Sie tut mir leid - sie war nicht gerade sehr höflich zu mir, aber trotzdem fühle ich Sympathie für sie.«
»So? Die Dame ist Ihnen sympathisch? Sie ist etwas fett und - hat ein zu dickes Gesicht. In Marokko werden sie alle so, weil sie sich dauernd im Harem aufhalten müssen, keine Freiheit und nicht genügend Bewegung haben. Sie werden hier behandelt wie Vieh, in einem heißen Haus eingeschlossen, in dem Tag und Nacht furchtbare Luft herrscht. Joan, möchten Sie tatsächlich ein solches Leben führen?«
Sie sah ihm gerade ins Gesicht.
»Ich möchte überhaupt nicht Ihre Frau sein.«
»Möchten Sie das Leben einer maurischen Frau führen?« wiederholte er. »Oder möchten Sie nach europäischer Weise heiraten und Kinder haben, die später Ihren Namen tragen und den Titel Ihres Vaters erben?«
Sie erhob sich schroff und drehte ihm den Rücken zu.
»Nun gut, wir wollen diese Frage im Augenblick nicht erörtern«, sagte Ralph und stand auch auf. »Ich möchte Sie bitten, jetzt Sadi Hafis zu empfangen. Er ist ein guter Freund von mir. Seien Sie liebenswürdig zu ihm, aber nicht zu sehr. Er ist im Moment nicht gut auf mich zu sprechen, da er Lydia haben wollte. Sie hat ihn aber ausgeschlagen. Und ich wünsche nicht, daß er sich Hoffnungen auf Sie macht.«
Er verschwand und ließ sie mit ihren Gedanken allein. Nach einigen Minuten kehrte er mit Sadi zurück.
Joan erkannte sofort, daß dieser Mann eine ebenso große Gefahr
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