043 - Die Mordkrallen
Tag. Der Himmel war strahlendblau, und die weißen Schaumkronen rollten über den Strand.
Ihre Gedanken beschäftigten sich noch immer mit Dorian. Sie konnte ihm nur helfen, wenn es ihr gelang, Olivaro den Plan zu entlocken. Aber das selbsternannte Oberhaupt der Schwarzen Familie war misstrauisch.
In der versteckten Lagune des Atolls blieb sie stehen. Hier schwamm Machu Picchus Körper, der Leib der Inka-Prinzessin, die ihre einzige Verbindung zu Dorian darstellte.
Dorian Hunter legte seinen rechten Arm beruhigend um Machu Picchus Schultern. Die junge Frau mit dem pechschwarzen Haar und der zierlichen Figur drängte sich ängstlich an ihn. Ihre dunklen Augen wirkten gehetzt – wie die eines Tiers, das in eine Falle geraten war.
»In einer halben Stunde sind wir in London«, sagte Hunter.
Er musterte die Inka-Prinzessin. Nur zu gut konnte er verstehen, was in ihr vorging. Er hatte sie vor mehr als vierhundert Jahren kennen gelernt. Damals war sein Name Georg Rudolf Speyer gewesen. Er war zusammen mit Pizarro und seinen Männern im Inka-Reich gewesen und hatte miterlebt, wie Atahualpa, der Inka-König, durch ein fadenscheiniges Kriegsgericht zum Tode verurteilt wurde; und er hatte auch gesehen, wie des Nachts Atahualpas Leute den Leichnam raubten. Später hatte er dann die geheimnisvolle Stadt Manoa entdeckt und Atahualpas schreckliche Auferstehung von den Toten erlebt. Ihm war die Flucht gelungen, als einzigem der Eroberer. Von seinen Erlebnissen in der Vergangenheit hatte er Jeff Parker berichtet, der daraufhin die verschollene Stadt suchen ging. Parkers Expedition war nicht vom Glück begünstigt. Er selbst war von einem Pygmäenstamm gefangengenommen worden. Doch dem Dämonenkiller war es gelungen, Parker und seine Männer zu befreien. Sie hatten auch die Stadt Manoa wiedergefunden. Der wiedererweckte Atahualpa war getötet worden und Machu Picchu zum Leben erwacht. Ihr richtiger Körper schwamm irgendwo in Südamerika einen Fluss hinunter. Die Machu Picchu, die so real und echt wirkte, war nur ein Traum, ein Traum ihres richtigen Körpers, ein Gebilde, das aus warmem Fleisch bestand, denken konnte und Angst hatte, Angst vor der Zivilisation, die sie nicht verstand. Für sie war alles ein Wunder – die Flugzeuge, das Fernsehen, das Radio, die Autos. Es war einfach zu viel für das Mädchen; sie konnte es nicht verkraften. Dorian war sicher, dass sie sich äußerst unbehaglich fühlte und sich mit jeder Faser ihres Geistes nach den alten Zeiten zurücksehnte, wo alles für sie klar und verständlich gewesen war.
Jeff Parker, der vor Dorian saß, wandte den Kopf und grinste. »An unser Abenteuer in Rio werde ich noch lange denken. Mit dir schlittert man in die unglaublichsten Dinge.«
Der Dämonenkiller antwortete nicht. Er ärgerte sich noch immer darüber, dass Jeff das Telegramm aus der Jugendstilvilla unterschlagen hatte. Er konnte es kaum erwarten, bis die Maschine endlich landete.
Zu viel ging in seinem Kopf herum. Coco hatte er wohl endgültig verloren. Aber was war mit Lilian? Er machte sich Vorwürfe, dass er sich in letzter Zeit so gar nicht um sie gekümmert hatte. Aber nicht genug damit – nun hatte er auch noch Machu Picchu am Hals.
Er seufzte leise und schnallte sich an, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Auf ihn warteten einige Probleme, das stand fest, lauter Dinge, mit denen er sich nur äußerst ungern befasste.
Die Maschine landete, und sie stiegen aus. Jeff Parker und Sacheen, seine Freundin, gingen voraus. Sacheen war ein außergewöhnlich gutaussehender Mischling, die das Haar meist in zwei nabellangen Zöpfen trug.
Machu Picchu blieb stehen und sah sich mit großen Augen um.
»Gehen wir weiter«, sagte Dorian sanft und nahm ihre rechte Hand in die seine.
Sie betraten die Abfertigungshalle. Die herumhastenden Menschen verwirrten Machu Picchu noch mehr.
Die Zollabfertigung dauerte nur wenige Minuten. Jeff Parker brüllte nach einem Gepäckträger. Ein Menschenstrom bewegte sich an ihnen vorbei, und plötzlich war Dorian von seinen Gefährten abgedrängt.
Irgendetwas stimmt da nicht , dachte er und wandte den Kopf herum. Sein Blick fiel auf die Toiletten.
»Ich bin sofort wieder da!«, brüllte er Jeff zu.
Es war ihm, als würde ihn etwas dazu treiben, die Tür zu öffnen. Einen Augenblick zögerte er, dann drückte er sie mit dem rechten Fuß auf und trat ein.
Kein Mensch war zu sehen. Vor einem der Waschbecken blieb er stehen. Es war unnatürlich ruhig. Er drehte sich
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