0430 - Vampir-Geschwister
eine mir unbekannte Unterwelt…
***
Es war noch so wie vor langer, langer Zeit.
Der Earl of Luna und seine Schwester Margot hatten die stockfinstere Gruft betreten, hatten sich umgeschaut, den Geruch der Jahrhunderte in sich aufgenommen und dann die alten Sarkophage aus Stein entdeckt, die in der Tiefe verteilt standen.
Ihre Ruhestätten.
Aber auch die ihrer Familie, von der die meisten Mitglieder nicht mehr existierten.
Dennoch fühlten sie sich wohl in der Gruft, die sie mit schleichenden Schritten durchquerten, um zu ihrem Ziel, den beiden Särgen, zu gelangen.
Nichts hatte sich verändert. Damals hatten sie sich gegenübergelegen, das würde auch heute wieder so sein, wenn sie erst die schweren Deckel zur Seite geschoben hatten.
Margot lachte leise. »Ich werde dort liegen, wo ich immer gelegen habe. Der Sarg wartete noch auf mich.« Krächzend vor Vorfreude klang ihre Stimme.
Sie hatten den Einstieg hinter sich geschlossen. Licht brauchten sie keines. Die Dunkelheit war für sie ideal. Zudem war dieses Gewölbe ihre Heimat. Da konnten sie tun und lassen, was sie wollten.
Die ausgemergelt wirkende Frau hatte ihre dünnen Arme ausgestreckt.
Als die Hände den Steindeckel des Sargs berührten, drang ein leiser Triumphruf über ihre Lippen. »Ja, das ist meine Ruhestätte…«
Sie konnte es kaum erwarten, schob den Deckel nicht zur Seite, sondern kippte ihn einfach weg, so daß er mit einem dumpfen Laut zu Boden schlug und Risse bekam. An den Enden bröckelten auch einige Teile ab, doch das störte Margot nicht.
Sie stieg noch nicht ein, dafür drehte sie den Kopf und blickte dorthin, wo sich ihr Bruder aufhalten mußte. Er hatte seinen Sarg noch nicht erreicht, dafür vernahm sie seine schleichenden Schritte an der gegenüberliegenden Seite, denn genau dort stand der Sarg.
»Bist du da?«
»Sicher, Schwester…«
»Wirf den Deckel einfach fort. In der Gruft ist es dunkel genug. Wir brauchen ihn nicht mehr.«
Er gehorchte. »Ich steige hinein!« sagte er.
»Und ich liege schon darin.« Margots Stimme klang verändert.
»Fühlst du dich gut?«
»Sehr gut.«
Geräusche, die darauf hindeuteten, daß auch der männliche Vampir sein makabres Bett bestieg, klangen auf. In sie mischte sich das Stöhnen und der anschließende Kommentar des Blutsaugers. »Es ist wie früher. Beinahe kommt es mir vor, als wäre überhaupt keine Zeit vergangen, Schwester.«
»So denke ich auch…« Sie stöhnte wohlig. »Aber jetzt laß uns schweigen und genießen. In der Nacht werden wir die Särge verlassen und auf die Jagd gehen. Wie früher…«
»Ja, wie früher«, wiederholte der Earl of Luna. »Unser Freund, der Mond, scheint noch immer…«
Es waren vorerst seine letzten Worte. Die beiden lagen von nun an still in ihren Särgen in der Rückenlage und hatten die Hände auf dem Bauch aufeinandergelegt.
Sie warteten ab, genossen die Dunkelheit und gaben sich ihren Gedanken hin.
Diese wiederum drehten sich um die Menschen, um deren Blut und um die Jagd auf diesen so wichtigen Saft.
Aber sie wurden gestört.
Ihre Sinne hatten sich verstärkt. Sie wirkten wie Sensoren, und so hörten sie die Geräusche über sich.
Margot sprach es aus. »Bruder, es hört sich an, als würde dort jemand hergehen…«
»Ja, es sind Schritte.«
»Sucht man uns?«
»Wir haben einen angefallen. Er wird unsere Gedankenströme empfangen haben.«
»Ein Diener.« Sie lachte, bevor sie wütend fauchte. »Aber ich will nicht, daß er jetzt schon kommt. Noch ist es Tag. Er soll in der Nacht bei uns erscheinen und sich in dieser Gruft heimisch fühlen.«
»Dann schick ihn wieder weg…« Die Stimme des Blutsaugers klang schläfrig.
»Ja, ich versuche es.«
Untereinander verbindet die Blutsauger ein rätselhaftes Band, durch das sie miteinander kommunizieren. Die beiden Geschwister sahen ihr erstes Opfer nach langer Zeit als ihren Diener an, der das tun mußte, was sie verlangten.
Aber das Band war gerissen. Etwas hatte es gestört. Nur noch Gedankenfragmente konnte Margot empfangen, und die alarmierten sie.
So sicher, wie sich der Vampir gab, war er nicht mehr. Er stand unter Druck.
Empfing sie nicht einen geistigen Schrei nach Hilfe?
Es kam ihr beinahe so vor, doch genauer konnte sie darüber nicht nachdenken, die Verbindung war im nächsten Moment ganz abgerissen.
»Bruder…«
Der Earl of Luna vernahm den Unterton in der Stimme seiner Schwester.
»Was hast du?«
»Es ist etwas passiert!«
»Mit unserem Freund?«
»Ja. Der
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