0433 - Zeitbombe London
Flucht gelassen.
Er war da.
Sein linker Arm fuhr vor. Die Hand, erst gespreizt, griff zu, und die Finger legten sich wie stählerne Klammern auf ihre Schulter, wo sie das Fleisch zusammendrückten.
In der anderen hielt er das Messer.
Dahinter sah Shao das Gesicht. Häßlich verzogen, entartet durch die beiden krummen Teufelshörner, die sehr spitz waren. Dunkelblaue Schatten hatten ein Muster auf die Haut gelegt. Sie ließen das Gesicht wie ein zusammengesetztes Puzzle erscheinen.
»Keine Chance!« sagte er.
»Doch!«
Diese Antwort ließ van Akkeren zögern. »Du gibst dir selbst noch eine Möglichkeit?«
»Ja!«
»Und welche?« Das Messer bewegte sich während des Frage- und Antwortspiels um keinen Deut zur Seite.
»Ich bin nicht die, die du siehst.«
»So? Wer bist du dann?«
»Amaterasu!«
Van Akkeren zögerte. Er wußte nicht, ob er auf den Arm genommen werden sollte oder nicht. »Amaterasu?« wiederholte er leicht verblüfft.
»Wer ist das?«
»Eine Göttin.«
Böse klang sein Lachen. »So siehst du gerade aus. Wie eine Göttin. Nein, du kannst mich nicht…«
»Die japanische Sonnengöttin«, sagte Shao. »Uralt und mit dem Wissen der damaligen Welt ausgestattet. Ich bin die letzte in ihrer Ahnenreihe. Auf mich hat sie all ihre Kraft übertragen, die ich auch gegen meine Feinde einsetzen kann.«
»Davon habe ich nichts bemerkt.«
Shao wunderte sich selbst, daß sie die Nerven auch nach dieser spöttischen Antwort behielt. Sie konterte sogar. »Wenn es jemand bemerkt, ist es meist zu spät. Dann habe ich ihn vernichtet.«
»Mich schaffst du nicht!«
Shao mußte sich auf zwei Dinge konzentrieren. Sie schrie innerlich um Hilfe und sah gleichzeitig das Messer seitlich vor dem Gesicht van Akkerens.
Wo blieb Amaterasu?
Bei den grausamen Geishas und ihrem Ghoul hatte sie ihr geholfen. Hier aber ließ sie Shao im Stich. Wahrscheinlich war es die falsche Magie, gegen die Amaterasu keine Mittel hatte.
»Bluff, nicht wahr?« fragte van Akkeren zischend. »Es ist ein Bluff gewesen - oder nicht?«
Shaos Gesichtszüge zerliefen. »Ja!« hauchte sie. »Es war wohl ein Bluff.« Sie war verzweifelt, nur deshalb hatte sie diese Antwort geben können.
Diesmal half ihr die Göttin nicht.
Shao spürte, wie die Kraft sie verließ, und van Akkeren visierte schon die Stelle an, in die er das Messer hineinstechen würde.
Da passierte es.
Er hörte einen Schrei hinter sich, fuhr in einem Reflex herum, sah, daß Janes Fesseln in Flammen standen…
***
In Libyen waren die Bomben gefallen, und die arabische Welt hatte den Amerikanern und auch Engländern Rache geschworen. Englische Diplomaten wurden in den orientalischen Ländern zum Freiwild erklärt. Es gab Tote und Verwundete, zudem regelrechte Hinrichtungen, aber auch im Mutterland standen die einzelnen Polizei-Organisationen unter Hochspannung. Vor allen Dingen in den großen Städten mit den zahlreichen Versteckmöglichkeiten häuften sich die Razien.
Am meisten in London.
Eine Sonderkommission war gebildet worden. Top-Leute mit einer speziellen Ausbildung gingen systematisch vor und suchten die bekannten Unterschlupf quartiere ab.
So auch die Bunker, die noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammten und teilweise bewohnt wurden. Von Emigranten, Asylanten, Fremdarbeitern.
Es waren stets die Illegalen, die in den Bunkern Schutz suchten, wenn ihnen die Großstadt selbst zu heiß geworden war.
Aber die Polizei schlief nicht. Sie ging systematisch vor. Gerade in dieser Zeit, wo Engländer gehetzt wurden, wollte man das Übel im eigenen Land an der Wurzel packen.
Südlich der Themse und schon am Stadtrand gab es ebenfalls einen dieser Bunker. Er lag ziemlich einsam, das nächste Haus oder Gehöft war mehrere hundert Yards entfernt.
Dafür befand sich der Bunker ziemlich frei. Nicht weit von der Straße entfernt schob sich der mit Gras und Buschwerk bewachsene Hügel aus dem Gelände.
Er warf einen langen Schatten in der Dunkelheit. Beides nutzten die fünf Männer aus, die sich anschlichen. Es war mittlerweile der dritte Bunker an diesem Tag, den sie ausräuchern wollten. Bei einem hatten sie Erfolg gehabt. Die Typen, die dort aufgelesen worden waren, saßen bereits hinter Gittern und wurden überprüft.
Anführer dieser Truppe war ein Mann namens Cole Jackson. Knochentrocken und ebenso hart. Zudem schwärmte er für Kojak, deshalb ließ er sich auch immer eine Glatze schneiden, die jetzt allerdings unter einer flachen dunklen Mütze verborgen war.
Seine
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