0436 - Im Reich der Kraken-Schlange
sagte Mejia leise. »Kommen Sie, Zantos. Ich möchte heute auch noch mal meinen Feierabend haben…«
Sie gingen zum Jeep zurück, Julio mit Verdrossenheit im Gemüt. Aber so sehr sich alles in ihm aufbäumte, so verstand er den Teniente auch. Der konnte doch nicht anders handeln, als er es tat. Julio hatte lediglich gehofft, daß Mejia über seinen Schatten springen würde.
Aber er war eben ein Beamter. Und Beamte haben ihre Dienstvorschriften, die sie einhalten mußten.
»Setz mich vor Hernandos Bodega wieder ab, Franco. Vielleicht kann ich doch noch ein paar Leute überreden, daß sie wenigstens davor warnen, zum Wasserfall zu gehen…«
***
Pepe Ferillo erfuhr eigentlich nur durch Zufall davon.
Der glatzköpfige Reporter, der für eine große mexikanische Zeitung arbeitete, war auf dem Weg von Mexiko nach Ciudad Juarez an der texanischen Grenze, um dort ein Interview zu führen. Den Flug wollte ihm seine Zeitung nicht bezahlen, also mußte er Staub schlucken. Und die carretera principale 45, die breit ausgebaute, trotzdem schlechte Staatsstraße, führte von Durango über Camargo und Chihuahua nach Ciudad Juarez.
Ferillos VW-Käfer holperte ein Schlagloch nach dem anderen ab. Sobald er in die Nähe einer Stadt kam, schaltete Ferillo sein Funkgerät auf Empfang. Das gute Stück war so alt wie illegal, weil es auch in Mexiko verboten war, Polizeifunk abzuhören, aber wie sonst sollte ein anständiger Reporter an Knüller kommen, wenn nicht so?
Es war Zufall, daß er gerade zu der Zeit in der Nähe von Camargo war, und damit in Funkreichweite von Franco Mejias Jeep-Sender, als der Teniente seiner Dienststelle meldete, eines vermeintlichen See-Ungeheuers wegen zum kleinen Wasserfall am Rio San Juan hinauszufahren.
Auf der Landkarte stellte Ferillo fest, daß dieser Wasserfall gar nicht weit entfernt von Camargo war -Ferillo besaß eine sehr exakte Militärkarte, die er durch Beziehungen und Bestechung in seinen Besitz gebracht hatte. Er überlegte, ob es sich lohnte, dorthin zu fahren, verzichtete aber schließlich doch darauf. Er mußte am nächsten frühen Morgen in Juarez an der Grenze sein, und wenn er seinem Interviewpartner ausgeschlafen gegenübertreten wellte, war jetzt keine Pause und kein Umweg mehr drin.
Immerhin gab die Funkbotschaft genug für eine einspaltige Kurznotiz her. Vielleicht hatte der Redakteur auch noch ein Fantasiebild vom schottischen Ungeheuer von Loch Ness im Archiv, oder einer der Verlagszeichner konnte auf die Schnelle so ein Monstrum skizzieren.
In Camargo suchte Pepe Ferillo die nächste Telefonzelle auf und rief seine Redaktion in Mexiko an.
Sein Redakteur hatte absolut nichts dagegen einzuwenden, ein kleines Artikelchen über das See-Ungeheuer zu bringen. So etwas erfreute die sensationslüsternen Leser immer wieder aufs neue, unbeschadet des Wahrheitsgehaltes der Meldung. Das interessierte doch eh keinen, weil niemand auf die Idee kommen würdej die Story nachzuprüfen. »Du kriegst einen Zweispalter mit Archivbild von einer fliegenden Untertasse«, versprach der Redakteur. »Denk dir schnell den Text dazu aus. UFO setzt Monster in mexikanischem Flußbett aus, oder so… mach’s schön reißerisch. Bevölkerung in heller Panik und so, du weißt schon, Pepe.«
Der grinste. Ein Zweispalter war mehr, als er erwartet hatte, und einen blödsinnigen, reißerischen Text dazu zu erfinden war eine seiner leichtesten Übungen.
Das gab wieder ein paar Pesos auf sein Konto…
***
»Was fällt dir zum Thema Mexiko ein?« fragte Professor Zamorra und warf die zusammengerollte Zeitung auf den kleinen Tisch. Er war nur für ein paar Minuten draußen gewesen, und das Hemd klebte ihm schon am Körper und zeichnete die Konturen des Amuletts nach, das er am Silberkettchen unter dem Hemd auf der Brust trug. Es kam ihm so vor, als sei die Hitze seit gestern noch stärker geworden. Selbst die Klimaanlage des Hotelzimmers hatte Schwierigkeiten, die Temperatur auf einem halbwegs erträglichen Maß zu halten - Zamorra hatte den Fehler gemacht, die Balkontür zu öffnen, und ein Heißluftschwall war eingedrungen, mit dem die air condition immer noch nicht so recht klar kam.
Er rupfte sich das durchgeschwitzte Hemd vom Körper und warf es irgendwo hin.
Nicole Duval, seine Sekretärin, Lebensgefährtin und Mitstreiterin, hatte in dieser Hinsicht weniger Probleme -sie hatte bisher darauf verzichtet, sich anzukleiden und damit immerhin den Boy vom Zimmerservice in arge Verlegenheit gebracht,
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