0436 - Tanz auf dem Scheiterhaufen
Ich bin der Ansicht, daß wir in der Vergangenheit gelandet sind.«
»So kommt es mir auch vor.«
»Da haben doch auch Menschen gelebt. Vielleicht laufen wir sogar in der Nähe von London umher. Suko, alles ist möglich!« Shao wollte sich durch ihre Worte selbst Mut zusprechen.
Suko ließ sie reden. Er wollte endlich mehr sehen und schaltete abermals seine Lampe ein. Er schwenkte den Strahl nach links und rechts. Er huschte über das hohe Gras, er traf Büsche und riß einen Gegenstand aus dem Dunkel, der so gar nicht in diese Zeit oder Welt hineinpassen wollte.
Es war ein Auto.
Auch Shao hatte es gesehen. Sie blieb stehen, ihr Arm schnellte nach vorn, und die Augen weiteten sich. »Das erste Indiz«, flüsterte sie und schüttelte sich, während Suko schon auf den Wagen zulief.
Als er ihn erreichte, sah er, daß dieses Fahrzeug nicht mehr zu gebrauchen war. Es lag auf dem Dach, war zusammengequetscht worden und reif für die Schrottpresse.
Ehemalige Scheiben lagen als Krümel neben dem Wagen im Gras. Suko kniete sich und leuchtete in das Fahrzeug.
Blut, Blässe und tote Augen zeichneten das Gesicht des Mannes, der hinter dem Lenkrad verkrümmt lag und sich nicht mehr rührte. Der Aufprall hatte ihn das Leben gekostet.
Ein Arm war ausgestreckt und dabei ein wenig angewinkelt. Die Hand war zur Klaue gekrümmt.
Das aus der Nase des Toten rinnende Blut tropfte auf den Handteller.
»Den habe ich auf dem Weg zum Hexentor gesehen«, flüsterte Shao. »Verdammt, den habe ich sogar überholt.«
»Ja, er hatte Pech gehabt.«
»Und wieso er und nicht wir?«
»Tut mir leid, aber die Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Vielleicht haben unsere Gegner Unterschiede gemacht, aber das ist jetzt zweitrangig. Wir können dem Mann nicht mehr helfen, so leid es mir tut.«
Die Chinesin nickte. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen und schluckte einige Male, bevor sie sich abwandte und weiterging. Suko leuchtete noch die Umgebung ab. Er zog dabei immer größere Kreise und hatte plötzlich Glück.
Zuerst hielt er das Blitzen für eine Täuschung, dann erkannte er, daß der Lichtstrahl einen Spiegel seiner Harley getroffen hatte.
»Shao!«
Als sie kam, stand Suko schon neben der Maschine. Er und Shao trugen noch ihre Helme, nur hatten sie die Sichtvisiere hochgeklappt, schauten sich jetzt an und lächelten.
»Sie ist nicht zerstört - oder?« fragte Shao. Vorsichtig trat sie näher und senkte den Kopf.
»Wie es aussieht, nicht.«
»Sollten wir denn so ein Glück gehabt haben?« Ihre Stimme zitterte. Sie selbst war so aufgeregt, daß sie Suko nicht dabei half, den schweren Feuerstuhl aufzurichten.
Suko stand da, hielt die Harley fest, atmete tief durch und stieg langsam in den Sattel. Er stemmte noch beide Beine gegen den Boden, als er sich zu seiner Partnerin umdrehte. »Jetzt drück uns die Daumen, Mädchen.«
Sie nickte heftig.
Suko startete die Harley. Er lachte plötzlich, und auch Shao sprang in die Höhe. Sie riß jubelnd die Arme hoch, schwang sich auf den hinteren Sitz, während Suko die Spiegel richtete.
»Ich verstehe es nicht!« rief sie. »Es ist mir unbegreiflich. Das Auto zerstört, aber die Maschine in Ordnung. Steckt da ein Plan dahinter?«
»Wenn ja, werden wir es herausfinden«, erwiderte Suko und fuhr langsam an.
Shao dachte daran, als sie das letztemal hinter Suko gesessen hatte. Da waren sie plötzlich in die Luft gerissen worden und über einen straßenähnlichen Weg hinweggejagt, der sie genau auf das aufgerissene Maul der Hexe zuführte.
Und jetzt rollten sie durch eine andere Welt, vielleicht durch eine Zeit, die man mit dem Begriff Vergangenheit umschreiben konnte. Der Fahrtwind drückte gegen ihre Gesichter. Sie hatten die Visiere noch nicht geschlossen. Bis sie den Weg erreicht hatten, fuhr Suko einen Bogen. Er kürzte damit ab und rollte in die Richtung weiter, in die sie auch hatten gehen wollen.
Die Nacht war schwarz. Sie gehörte zu den Nächten, wo das Böse freie Bahn hatte und sich den Häusern oder Behausungen der Menschen näherte, um sie zu unterjochen.
Suko hatte den Scheinwerfer der Maschine eingeschaltet und auf Fernlicht gestellt. Der Lichtkegel stach in die Dunkelheit. Er riß eine helle Schneise, huschte über den schmalen Weg und berührte auch nicht die Grasränder an den beiden Seiten. Manchmal fiel das Gelände auch ab und wurde erst wieder nahe des Waldrands eben.
Plötzlich waren sie da!
Suko hatte sie nicht kommen sehen. Zudem standen sie auf dem Weg
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