0438 - Schlangenhand
vernahm ich das ferne Brausen, als würde ein Gewitter heranziehen, aber ich maß diesem Geräusch noch keine Bedeutung bei.
Trotz meines Befehls griff der Junge zu.
Da schoß ich.
Es war ein Risiko, okay. Vielleicht erwischte ich auch seine Hand. Das mußte ich einfach riskieren. Aber die Kugel jagte dicht vor seinen zupackenden Fingerspitzen in den Stein und sirrte als plattgeschlagener Querschläger davon.
Als hätte er sich die Finger verbrannt, so hastig zog er die Hand zurück.
Doch Vasco wollte sein Amulett. Wir hörten ihn stöhnen, er verstärkte den Griff, und gleichzeitig schrie das Mädchen schmerzerfüllt auf. Er bog dabei ihren Kopf zurück, der Schrei hallte gegen die Decke und verebbte nur allmählich.
»Ich würde nichts mehr unternehmen!« hörte ich die Stimme des Wirts.
»Gar nichts mehr, verstanden?«
Mein Kommentar blieb aus. Ich wußte ja selbst, daß wir am kürzeren Hebel saßen.
Sekunden verstrichen. Wenn ich die Legende richtig verstanden hatte, konnte Vasco das Amulett nicht an sich nehmen. Ein Bote mußte es ihm bringen. Diese Symbolik sollte wahrscheinlich die Verbindung zwischen der Hölle und der Menschheit dokumentieren. Manchmal kann Schwarze Magie recht große Umwege gehen und auch ziemlich kompliziert sein.
Also nahm er einen neuen Anlauf. Diesmal stieß seine Hand rasend schnell vor. Er packte das Amulett, mußte nur noch aufstehen und auf den Thron zulaufen.
Ich schoß nicht!
Dafür griff das Schicksal ein. Das Rauschen hatte ich schon vernommen.
Innerhalb weniger Sekunden steigerte es sich zu einem gewaltigen Donnern und Tosen.
»Die Flut kommmttt…« Der Wirt brüllte den Satz, machte auf dem Absatz kehrt und rannte die Stufen der langen Treppe hoch.
Gegen Menschen und Dämonen hatten wir immer eine Chance, aber nicht gegen die Gewalten einer unberechenbaren Natur. Die würden uns rücksichtslos zerstören. Zudem trennten sie auch nicht, wenn sie einmal in Fahrt waren, die Spreu vom Weizen.
Wir würden alle vernichtet.
Wenigstens wir Menschen.
Und das wollte ich verhindern.
In diesem Augenblicken war es mir egal. Ich startete und rannte mit langen Sätzen auf den Jungen zu, der seinen Herrn und Meister noch nicht erreicht hatte.
Konnte ich es noch schaffen?
Ja, ich war schneller, hielt noch in einer Hand mein Kreuz, das ich ihm entgegenhielt. Seine Schlangenhand zuckte zurück, als es mir gelang, den Jungen zu packen und ihn herumzuschleudern.
Auch die übrigen Piraten wurden aktiv. Sie wollten mich angreifen, aber da war Suko mit seiner Peitsche. Er schlug in die Masse hinein. Zudem feuerte er hin und wieder eine Kugel aus seiner Beretta ab, und ich hatte freie Bahn.
Mit der rechten Hand hielt ich Jorge fest, mit der linken wollte ich mir das Mädchen holen, was leider nicht mehr klappte, denn hinter dem Thron, gar nicht mal weit entfernt, wuchs eine schäumende, donnernde, rauschende und alles mit sich reißende Flut aus Wasser in die Höhe.
Wenn die mich erreichte, war es aus.
Jemand schrie. Für mich war die Flucht mit dem Jungen lebenswichtig.
So wirbelte ich herum und rannte mit gewaltigen Sätzen auf die rettende Treppe zu.
Zum Glück bewegte sich der Halbwüchsige nicht. Ich schleifte ihn einfach weiter und drehte mich auch nicht um.
Ich holte aus meinem Körper heraus, was eben möglich war. Keuchend und mich dabei vorwerfend jagte ich auf mein Ziel zu, während hinter mir die Hölle los war.
Suko hatte die Treppe bereits erreicht, lief aber nicht weiter. Er wartete auf uns.
Wenn ich jetzt stolperte, war es vorbei.
»Schneller…!«
Ich hatte Sukos Schrei vernommen. Er kam mir jetzt entgegen. Bis zur Treppe war es nur noch ein Schritt. In meinem Rücken spürte ich bereits die Kühle des Wassers. Erste Gischtwolken erreichten mich und legten sich über mich wie große Schleier.
Ich gab nicht auf.
Die erste Stufe übersprang ich, landete auf der zweiten, als der Junge sich plötzlich wehrte, aber da hatte der kräftige Suko schon zugegriffen und ihn mir entrissen.
So konnte ich besser rennen.
Suko lief trotzdem noch vor mir. Ich sprang höher, dann spürte ich den mörderischen Hieb im Rücken. Das Wasser hatte mich erreicht. Mitten im Sprung packte mich die Panik. Eine Welle stürzte über mir zusammen, ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber ich schaffte es, mich auf den Beinen zu halten, erreichte die nächste Stufe, die übernächste ebenfalls, auch die folgende, rutschte erst dann aus und kroch
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