044 - Der Teufelseid
keinen Namen.«
Jetzt wurde Dorian vieles klar.
An Orten, die nicht geweiht waren, dort konnte das Böse Einzug halten!
Dorian schlich sich wie ein Dieb zum Fremdentrakt. Er hatte darüber nachgedacht, zu welchem Zimmer das Fenster gehören musste, in dem er den Rotschopf gesehen hatte.
Es war das Zimmer neben dem seinen!
Gerade als er die Tür entschlossen öffnen wollte, stürzte schreiend ein Mönch heran und klammerte sich verzweifelt an Dorian. Er zerrte wie von Sinnen an ihm und schrie hysterisch.
Das lockte einen weiteren Mönch heran. Dann tauchte auch Pater Gregorius auf.
»Ich habe mich in der Tür geirrt«, entschuldigte sich Dorian.
Pater Gregorius konnte den hysterisch gestikulierenden Mönch beruhigen, dann wandte er sich an Dorian.
»Wollen Sie mit mir das Abendbrot einnehmen? Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen. Ich wende mich an Sie, weil ich Sie als einen Vertrauten betrachte.«
Sie nahmen die Mahlzeit gemeinsam mit einigen Mönchen ein. Dorian war mit dem Essen noch nicht fertig, als bereits das Dankgebet gesprochen war, und er musste zusehen, wie ihm der halbvolle Teller weggenommen wurde.
Die Klosterinsassen zogen sich zum Nachtgottesdienst zurück. Pater Gregorius und Dorian blieben allein bei Tisch zurück. Als Dorian eine Frage stellen wollte, gebot ihm der Pater durch eine Handbewegung Schweigen.
Sie mochten etwa eine halbe Stunde in Schweigen versunken dagesessen haben, als der Mönch auftauchte, der Dorian von der Tür des Fremdenzimmers weggezerrt hatte.
Er wartete am Ausgang, bis der Pater und Dorian sich erhoben hatten, und ging ihnen voran. Sie folgten ihm durch einen langen Korridor mit Steinboden, und ihre Schritte hallten laut.
Die Nacht war hereingebrochen. Am Ende des Gangs blieb der Mönch stehen und entzündete eine Kerze. Dann ging es weiter, kreuz und quer durch Gänge, treppauf, treppab. Dorian verlor die Orientierung.
Endlich blieben sie vor einer schweren Holztür stehen. Der Mönch gab Pater Gregorius die Kerze und holte einen Schlüsselbund hervor. Das Rasseln der Schlüssel war lange das einzige Geräusch. Dann öffnete sich die Tür quietschend.
Vor ihnen lag die Klosterbibliothek. Dorian wusste, welche Ehre ihm zuteil wurde, dass er sie zu dieser späten Stunde betreten durfte. Der Mönch sperrte hinter ihnen wieder ab und blieb an der Tür stehen.
Pater Gregorius geleitete Dorian mit der Kerze zu einem Lesepult, wo ein in Leder gebundenes Buch lag. Es war aufgeschlagen und mit einer kunstvollen Ikone versehen, damit sich die Seiten nicht umblättern ließen. Das Papier war mit gestochen scharfer Handschrift und mit griechischen Buchstaben beschrieben.
Nun sprach Pater Gregorius zum ersten Mal, und er tat es sehr feierlich.
»Ich weihe Sie in ein streng gehütetes Geheimnis ein, Mr. Hunter, weil ich hoffe, mit Ihrer Hilfe das Unrecht gutzumachen, das ich Christophoros antat. Der Eremit ist kein Lügner, das habe ich aus diesen handschriftlichen Aufzeichnungen des verstorbenen Jerantas erfahren. Der Jerontas hat sich selbst nur einem Mönch anvertraut.« Und er deutete zu dem Mönch an der Tür. »Er ließ mich in dieses Buch Einblick nehmen, als ich ihn fragte, ob persönliche Aufzeichnungen des Verstorbenen vorhanden seien. Wollen Sie selbst lesen, oder soll ich Ihnen sagen, was hier steht?«
»Sagen Sie es mir«, bat Dorian.
»Vor dreiundzwanzig Jahren fand Christophoros ein Mädchen in jener Höhle, die er danach zu seiner Klause erwählte. Zu dieser Zeit hatte sich ein Lord Hayward für einige Zeit nach Simonos Petra zurückgezogen, um seinen Kummer darüber zu vergessen, dass seine Frau eine Fehlgeburt hatte. Nun kam Christophoros zum Jerontas und erzählte ihm von dem Findelkind. Der Vorsteher teilte dies dem englischen Lord mit, und dieser war sofort bereit, das Kind aufzunehmen und es für das seine auszugeben. Er sagte, bei seinen Beziehungen sei es nicht weiter schwer, die Fehlgeburt zu verschweigen. Er sah es als Wunder an, dass ihm auf diese Weise ein Kind beschert werden sollte.
Christophoros überbrachte das Findelkind am nächsten Tag. Da war es noch ein Mädchen. Doch am Abend, als der Lord es bei einem feierlichen Gottesdienst zu sehen bekam, war es ein Junge.
Und der Jerontas gelobte, solange er lebte, über dieses einmalige Wunder zu schweigen. In seiner letzten Eintragung vor seinem Tod schrieb er noch, dass er es bedauere, dass er es nun nicht mehr erleben könne, dass der Junge erwachsen werde und ihn besuchen
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