0445 - Die Macht des Träumers
Außerdem konnte es sein, daß Tendyke sich irrte. Auch Uschi, die ihm zum Zimmer gefolgt war, schaltete sich nicht telepathisch in Julians Träume ein.
Sie lächelte fein. Liebevoll betrachtete sie ihren Sohn, dann zog sie Tendyke wieder auf den kleinen Flur und schloß die Tür. »Wenn mir vor ein paar Jahren jemand gesagt hätte, daß ich ein Kind bekommen würde, hätte ich ihn ausgelacht«, sagte sie. »Monica und ich wollten uns nie mit Kindern belasten. Wir wollten auch nie an einem bestimmten Mann klebenbleiben, weil wir einfach glaubten, wir könnten nur alles gemeinsam unternehmen, um unsere Telepathie zu erhalten. Und zwei Frauen und ein Mann, das würde nie gutgehen…«
»Und nun geht es gut«, sagte Tendyke. »Es kommt meistens alles ganz anders, als man denkt. Komm, vielleicht sollten wir einen Spaziergang machen. Die Nacht ist zu schön, um sie einfach so verstreichen zu lassen, und in diesem Wald gibt es längst keine Gefahren mehr.«
Sie traten unter den Sternenhimmel hinaus. Uschi Peters sah nach oben. Irgendwo dort, jenseits der Sterne, war etwas, aber sie konnte es noch nicht spüren. Höchstens erahnen.
***
Das Werdende träumte noch immer.
Seine unsichtbaren Hände hielten den Kontakt zu einem Amulett des großen Merlin. ES sandte seine Träume hinein. Aber ES fand auch noch etwas anderes.
Da war ein anderer Traum.
Und sie zogen einander an, wollten sich berühren und vermischen. Ein Traum benötigte die Führung eines anderen.
Und ES war in der Lage, diese Führung zu übernehmen.
***
Yves Cascal zögerte. Blitzschnell sah er sich um. Für ein paar Sekunden hatte er das Gefühl gehabt, daß irgend etwas nach ihm greifen wolle. Dabei war ihm schwindlig geworden. Aber er wußte genau, daß mit seinem Kreislauf alles in Ordnung war. Dieser Schwindelanfall fand keine Erklärung.
L’ombre sah sich um. Aber da war nichts und niemand in seiner Nähe. Wieso glaubte er dann aber, einen Mann in schwarzer Kleidung gesehen zu haben, und über ihm einen gelblichen Himmel mit Sturmwolken?
Cascal wischte den vagen Eindruck fort. Irgendwie spürte er, daß er sich in Gefahr befand, nur konnte er nicht sagen, was das für eine Gefahr war. Körperlich schien sie immerhin nicht zu sein.
Sie mußte mit der Unruhe Zusammenhängen, die er verspürte.
Vor einem Menschen, der ihm auflauerte, hätte er sich nicht gefürchtet. Mit Menschen wurde er fertig, sogar, wenn sie bewaffnet waren. Er beherrschte Kung Fu und kannte die Grundzüge anderer Arten der waffenlosen Selbstverteidigung, so daß er sie miteinander kombinieren und selbst einen Meister mit dieser Mischung verblüffen konnte. Aber dieses Unbegreifliche, das Unsichtbare, das er nur erahnen, nicht einmal sehen konnte, machte ihm Angst. Erinnerungen stiegen auf, an jenes Ereignis in den Sümpfen, als ein flammenumhüllter Mann vor ihm auftauchte, ein anderer wie von einem Blitzschlag verbrannt wurde. An den Unheimlichen mit dem blauen Gesicht, oder an jenen, der sich von einem Ort zum anderen versetzen konnte, ohne dabei zu gehen, und der sich an Angelique hatte vergreifen wollen…
Ein kalter Schauer rann über seinen Rücken. Vielleicht hätte er in dieser Nacht nicht hinausgehen sollen. War es nicht besser, wenn er wieder umkehrte? Aber er mußte einen Mann treffen, der ihm einen Gefallen schuldete. Wenn er diese Schuld einforderte, waren die Cascals für die nächsten Tage wieder versorgt, brauchten nicht zu hungern. Andernfalls konnte es eng werden…
Wenn ihm, Yves, etwas zustieß, war das schlimm für Angelique und Maurice. Deshalb mußte er vorsichtig sein.
Er löste sich wieder aus dem Schatten eines Hauses, in den er sich unwillkürlich zurückgezogen hatte, als er das Unheimliche fühlte. Es war der Reflex einer Spinne, die unwillkürlich ins Dunkle flieht, weil sie sich dort sicherer fühlt.
Nur wenige Menschen waren auf der nächtlichen Straße unterwegs. Ein paar Autos surrten hin und her. Aus offenen Kneipentüren drang eine bunte Mischung aus Jazz und Cajun-Folklore. Bunte Reklamelichter flackerten. Cascal befand sich nur noch ein paar Meter von dem Lokal entfernt, in dem er den Mann treffen wollte, dessen Schuld er einzufordern gedachte.
Und der ihm den verlangten Gefallen bereitwillig tun würde, wußte er doch, daß andererseits auch l'ombre seinen Freunden immer wieder half. Was sich so Freunde nannte. Vorwiegend war sich jeder selbst der nächste. Und Cascal kannte nur einen einzigen Menschen, den er wirklich
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