0449 - Das Schreckgespenst
vorangekommen. Wir haben in der Vergangenheit herumgewühlt und festgestellt, daß vor einigen Jahrhunderten in diesem Haus, als es noch nicht diese Größe besessen hatte, ein Mann namens Anchor wohnte.«
»So heißt auch das Schreckgespenst.«
»Sicher. Deshalb gehe ich davon aus, daß Anchor und diese Bestie ein- und dieselbe Person sind.«
Ich fragte: »Was war Anchor für ein Mensch?«
»So genau kann ich Ihnen das nicht sagen, Mr. Sinclair. Es ist nicht viel über ihn geschrieben worden. Angeblich stammte er aus einem fremden Land.«
»Außereuropäisch?«
»Das ist möglich.«
»Und was tat er hier in London?«
»Ob er gearbeitet hat oder nicht, ist mir auch nicht bekannt. Möglicherweise beschäftigte er sich mit dem Teufelskult und anderen Dingen. Man sagte ihm auch nach, daß er Kontakt zu anderen, ungewöhnlichen Menschen gehabt haben soll. Zu… zu … außereuropäischen, verstehen Sie? Zu Henkern oder Folterknechten der Inquisition. Da läuft eben vieles durcheinander.«
»Bisher ist das Schreckgespenst aber noch nicht in Erscheinung getreten – oder?«
»Nein, auf keinen Fall. Das ist der erste Mord gewesen.«
»Hinter jeder Tat steckt ein Motiv. Welches Motiv könnte Anchor gehabt haben, hier einfach zu töten?«
Sie hob die schmalen Schultern. »Wenn ich das wüßte.«
»Gibt es ein Grab?«
»Darüber habe ich nichts gelesen.«
»Sie wissen auch nicht aus Ihren Büchern, wie der Mann umgekommen ist?«
»Nein, darüber stand nichts. Er wurde einfach nicht mehr erwähnt, das war alles.«
Bill räusperte sich. »Es ist mehr als dürftig, John. Da werden wir einige Arbeit haben.«
Ich gab mich noch nicht zufrieden. »Sie stehen wahrscheinlich erst am Beginn Ihrer Recherchen, Miß Denning?«
»So ist es.«
»Was hatten Sie heute abend genau vor?«
»Wir wollten doch nur die Party besuchen. Das Sommerfest ist eine Institution. Marylin benahm sich allerdings ein wenig seltsam. Sie sprach davon, daß sie eine Chance haben würde, mit dem Schreckgespenst in Kontakt treten zu können. Ich lachte sie aus, aber sie behauptete steif und fest, eine Spur gefunden zu haben.«
»Können Sie das näher erläutern?«
Sie zog die Nase hoch. »Das ist schwer. Jedenfalls gab sie sich ziemlich verschlossen. Auf mein Drängen hin kam sie auf einen Psychiater zu sprechen.«
»Wieso das?«
»Wenn ich das wüßte, Mr. Sinclair, ginge es mir besser. Sie müssen wissen, daß Marylin am Anfang stand. Sie war ungemein ehrgeizig, wollte Erfolge erringen, und ich erkannte mich in ihr praktisch wieder. Auch mir ist es so ergangen, als ich begann. Ich wollte alles allein machen und habe mich durchbeißen müssen.«
Ich nickte. Mehr würden wir wohl vorerst aus der Reporterin nicht an Informationen herausbekommen. Der Schock mußte erst verflogen sein.
»Sie müssen jetzt realistisch sein«, sagte ich zu ihr. »Man hat Ihre junge Kollegin umgebracht. Anscheinend wollte der geheimnisvolle Gegner nicht, daß man ihm auf die Spur kommt. Ich will Ihnen sagen, was ich denke. Es hätte Sie ebenso erwischen können wie Marylin. Möglicherweise haben Sie Ihr Leben nur einem Zufall zu verdanken.«
»Dann glauben Sie, daß ich mich noch in Gefahr befinde?«
»Damit rechne ich.«
»Was soll ich tun?«
»Wir können Sie in Schutzhaft nehmen.«
Flo schaute mich an. »In Schutzhaft? Nein, Mr. Sinclair. Da bin ich nicht der Typ zu. Nicht in Schutzhaft. Ich kann nicht in einer Zelle sitzen und warten, immer nur warten. Nein, ich muß mich bewegen können, und ich will auch sehen, wie der Mörder gefangen wird. Können Sie das verstehen, Sir?«
»Sehr gut.«
»Dann sollten wir uns mal um das Haus kümmern«, sagte Bill Conolly vor. »Vielleicht finden wir eine Spur. Der Killer kann sich schließlich nicht in Luft aufgelöst haben.«
»Wenn es ein Gespenst ist, bin ich mir da nicht mehr so sicher«, erwiderte ich…
***
Man hatte das Haus praktisch in zwei Hälften geteilt, denn nicht alle Räume sollten von den Gästen benutzt werden. Es hätte ein zu großes Durcheinander werden können.
Als wir die große Eingangshalle erreichten, sahen wir auch die Treppe. Sie sollte ebenfalls nicht benutzt werden, vor der untersten Stufe hing eine Kordel. Mehr eine symbolische Sperre, man konnte das Band bequem übersteigen.
Bill hatte das Licht eingeschaltet. Dem großen Hause angemessen, funkelte es aus einem unter der Decke angebrachten Kronleuchter und warf glitzernde Lichtflecken auf den blanken Steinboden. Wer hier
Weitere Kostenlose Bücher